Aber wie groß ist das Potenzial wirklich? Wissenschaftler aus Großbritannien haben in der Studie „The limitations of end-of-life copper recycling and its implications for the circular economy of metals“ untersucht, wie sich der Anteil von Sekundärkupfer in den kommenden Jahren entwickeln wird. Das Ergebnis: Auf Primärkupfer wird man noch lange nicht verzichten können. Die Studie wurde in „Resources, Conservation & Recycling“ veröffentlicht.
Die stetig zunehmenden Bemühungen zur Dekarbonisierung gehen mit einer steigenden Nachfrage nach Metallen einher. Um diese Nachfrage bedienen zu können und gleichzeitig den Abbau von Metallen zu reduzieren, spielt das Recycling eine wesentliche Rolle. Insbesondere für Metalle ist das Recycling relevant, da das Material beliebig oft wiederverwendet werden kann, ohne seine Eigenschaften zu verlieren. Allerdings müsse die Frage gestellt werden, ob das Recycling alleine in der Lage sein werde, die steigende Nachfrage nach Metallen zu bedienen. Mithilfe einer Materialflussanalyse haben die Wissenschaftler untersucht, wie sich das Aufkommen an Sekundärkupfer in den kommenden Jahren entwickelt.
Die Wissenschaftler haben sich für Kupfer entschieden, da es zum einen in vielen Branchen eingesetzt wird und aufgrund seiner hohen Leitfähigkeit eine wesentliche Rolle bei der Energiewende spielt. Zum andere werde Kupfer schon lange in vielen Bereichen genutzt, so dass ein großer recycelbarer Bestand vorhanden ist.
Die globale Kupferproduktion ist von 0,85 Millionen Tonnen 1910 auf mehr als 20 Millionen Tonnen 2020 gestiegen. Aufgrund seiner Langlebigkeit ist ein erheblicher Teil der gesamten Kupferproduktion auch heute noch in Gebrauch. Die Menge dieses in Gebrauch befindlichen Bestands und die Ströme aus diesem Bestand in das globale Abfallbewirtschaftungssystem sind die wichtigsten Faktoren des Potenzials für die künftige Produktion von Sekundärrohstoffen. Der sich in Nutzung befindliche Kupferbestand ist im vergangenen Jahrhundert schnell gewachsen. Betrug er 1960 noch etwa 60 Millionen Tonnen, waren es 2020 schon mehr als 460 Millionen Tonnen. Die Wissenschaftler schätzen zudem, dass 29 Prozent des Bestands bereits mindestens einmal recycelt wurde. Allerdings seien auch mehr als 100 Millionen Tonnen Kupfer auf Deponien oder in anderen Recyclingkreisläufen verschwunden.
Der Kupferbestand in Nutzung werde in den kommenden Jahren weiter steigen. Die Forscher gehen bis 2040 von zusätzlichen 150 bis 290 Millionen Tonnen aus. Selbst bei konservativen Rechnungen sollen es dann insgesamt 650 Millionen Tonnen sein. Gleichzeitig werde aber auch der Abfluss kupferhaltiger Produkte, die das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, weiter zunehmen. Die Bestandsabgänge sollen von 16 Millionen Tonnen 2020 auf 30 bis 33 Millionen Tonnen bis 2050 steigen.
Im Durchschnitt dauere es 23 Jahre, bis eine Tonne Kupfer das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Dementsprechend sei der größte Teil des Abflusses von In-Use-Beständen bis 2040 auf die vergangene Kupferproduktion zurückzuführen. Daher habe das künftige, durch die Energiewende bedingte Produktionswachstum bei kupferhaltigen Produkten bis Mitte/Ende der 2040er-Jahre nur relativ geringe Auswirkungen auf die Lagerabgänge.
Die jährliche Produktion von Sekundärkupfer soll sich von etwa 6 Millionen Tonnen 2020 auf über 15 Millionen Tonnen 2040 mehr als verdoppeln. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate werde zwischen 2,9 und 3,3 Prozent liegen. Dennoch werde der Anteil von Sekundärkupfer an der Gesamtnachfrage, der derzeit bei 23 Prozent liegt, selbst im günstigsten Fall nur 49,6 Prozent betragen. Dies setze allerdings ein sehr hohes Wachstum der Sammel- und Recyclingquoten voraus. Der Bedarf an Kupfer werde in den nächsten 30 Jahren um 36 bis 52 Prozent über dem derzeitigen Bedarf liegen. Es werde deutlich, dass trotz der schnell wachsenden Menge an Sekundärkupfer der starke Anstieg der Gesamtnachfrage das Wachstum der Primärkupferproduktion noch eine ganze Weile nicht bremsen wird. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Primärproduktion bis Ende der 2020er-Jahre steigen werde. Zudem werde die Primärkupferproduktion 2050 immer noch über dem Produktionsniveau von 2020 liegen.
Die Prognose verdeutlich die einzigartige Herausforderung, denen sich viele Länder und Industrien stellen werden müssen. Wie kann es gelingen, die wachsende Nachfrage nach Metallen zu decken und gleichzeitig die Abhängigkeit von der Gewinnung von Primärmetallen zu verringern. Recycling als Kreislaufwirtschaftsstrategie sei zwar wichtig, reiche aber nicht aus, um die Nachfrage nach Primärmaterial 2050 zu senken. Selbst bei großen Fortschritten in der Recyclingtechnologie und bei der Schrottsammlung werden Dutzende neue Kupferminen erforderlich sein. Denn neben der steigenden Nachfrage werde viele große Kupferminen das Ende ihrer Nutzungsdauer vor 2050 erreichen. Zudem würden die durchschnittlichen Kupfererzgehalte weiter sinken.
Die Wissenschaftler betonen, dass diese Erkenntnisse nicht nur für Kupfer zutreffen würden. Trotz der vergleichsweise hohen Recyclingquoten für Kupfer und der großen Bestände könne mit der Sekundärversorgung die Primärproduktion nicht vollständig ersetzt werden. Dies gebe Anlass zur Sorge im Hinblick auf andere kritische Metalle, die für die Energiewende benötigt werden und von denen die meisten deutlich geringere Bestände und Recyclingkapazitäten aufweisen. Diese Erkenntnisse hätten daher auch erhebliche Auswirkungen auf die Debatten über die stoffliche Verwertung von Metallen und die Versorgungssicherheit von Mineralien, die für die Energiewende von entscheidender Bedeutung sind. Sie würden ernsthafte Fragen hinsichtlich der Angemessenheit des derzeit vorherrschenden Fokus der stofflichen Verwertungsstrategien auf das End-of-Life-Recycling aufwerfen. Zwar spiele das Recycling eine wichtige Rolle, sollte aber nur als eine von mehreren Kreislaufwirtschaftsstrategien gesehen werde. Den anderen Strategien müsse die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es gebe immer mehr Belege dafür, dass nachfrageseitige Kreislaufwirtschaftsstrategien wie die Verlängerung der Produktlebensdauer und veränderte Nutzungspraktiken das gleiche oder sogar ein größeres Potenzial zur Verringerung der Nachfrage nach Primärressourcen hätten als das Recycling. Dies erfordere allerdings neue Anstrengungen, um Strategien und Politiken dafür zu entwickeln. Angesichts des erwarteten starken Anstiegs in der Primärproduktion von Metallen müsse zudem auch über die Anwendung von Kreislaufwirtschaftsstrategien in den industriellen Gewinnungssystemen von Primärmetallen nachgedacht werden. Es gebe zahlreiche Belege für die erfolgreiche Anwendung von Kreislaufwirtschaftsprinzipien zur Umgestaltung von Geschäftsmodellen und Produktionssystemen nicht nur in den mittleren und nachgelagerten Bereichen globaler Wertschöpfungsketten, sondern auch in der vorgelagerten Produktion von Rohstoffen. Daher sollten Untersuchung bestehender Kreislaufwirtschaftsstrategien im Bergbau und die Adaption von Strategien aus anderen Sektoren stärker untersucht werden. Die regionale gemeinsame Nutzung von Bergbauinfrastruktur und die Wiederverwendung von Bergbauabfallprodukten sollten ebenfalls in Betracht gezogen werden, um den Abfall bei der Gewinnung zu reduzieren.