Neue Wege für die Verwertung finden

Altreifen fallen in großen Mengen an, Tendenz steigend. Ein großer Teil der Reifen wird aber immer noch verbrannt oder deponiert.
Foto: www.efren.de

Die Allianz Zukunft Reifen (AZuR) hat es sich zum Ziel gesetzt, Altreifen einer höherwertigen Verwertung zuzuführen. Im Interview mit dem RECYCLING magazin spricht die Netzwerkkoordinatorin Christina Guth über die Motivation ihrer Mitglieder, Runderneuerung und dicke Bretter in Brüssel und Bonn.

Frau Guth, Azur gibt es seit drei Jahren. Was war die Motivation zur Gründung?
Wir arbeiten seit etwa zehn Jahren als Netzwerkagentur für die Altreifenentsorger. Die haben sich vor zehn Jahren zu Zare (Zertifizierte Altreifenentsorger) zusammengeschlossen. Das sind Unternehmen, die ausschließlich Reifen und Gummi einsammeln und verwerten. Diese Entsorger haben sich vor etwa vier Jahren viele Gedanken gemacht, denn damals drohte ein wichtiger Absatzweg wegzubrechen, nämlich die thermische Verwertung in der Zementindus­trie. Die Zementindustrie begann zu dieser Zeit, ihre Öfen umzurüsten. In die modernen Öfen wird das zu verbrennende Material eingeblasen, doch mit ganzen Reifen geht das nicht. Und wenn man die Reifen vorher zerkleinern muss, kostet das Energie. Es gibt immer mehr Zementwerke, die keine Reifen annehmen, deshalb wollten Entsorger neue Wege für die Verwertung von Altreifen finden. Daher haben die Zare und der Bundesverband Reifenhandel zu einer Zeit, als das Thema Klimawandel noch nicht so akut war wie heute, ein Netzwerk gegründet, das möglichst alle Unternehmen, die an diesem Prozess beteiligt sind, unter ein Dach bringt. So ist Azur entstanden.

Wer sind – neben den Recyclern – die Mitglieder und was ist deren Motivation?
Zu den Mitgliedern gehören die Runderneuerer – sie benötigen die Karkassen, das ist ihr Rohstoff. Dann die Granulierer, welche die Reifen nehmen, die nicht in die Runderneuerung gehen können. Hinzu kommen die chemischen Verwerter, die genau wie die Granulierer das Material benötigen. Eine gemeinsame Motivation im Netzwerk ist, dass wir etwas gegen das schlechte Image der Branche tun wollten. Es tut dem Produkt nicht gut, wenn Reifen weiterhin illegal abgelagert werden, unsortiert oder ungeregelt ins Ausland gehen und dort verbrannt werden. Wir wollen die Reifen, die wir in Europa verwenden, auch in Europa verwerten und sie nicht dem Globalen Süden als Last aufbürden.

Ihre Mitglieder sind sehr unterschiedlich. Wie bringen Sie die verschiedenen Interessen unter einen Hut?
Alle Unternehmen, die jetzt Partner von Azur sind, wollen, dass die nachhaltigste Verwertung genutzt wird, um Reifen zu entsorgen. Die Entsorger sortieren exakt: Profilreifen gehen in den Export und können dort weiter genutzt werden, Runderneuerer, Materialhersteller und chemische Verwerter brauchen die Reifen als Sekundärrohstoff – sie haben ein gemeinsames Interesse.

Alle Azur-Partner sind davon überzeugt, dass die Runderneuerung als Premium-Verwertungsweg an erster Stelle stehen sollte. Das ist die gemeinsame Interessenlage. Die werkstofflichen Verwerter setzen sich dafür ein, dass das Produkt Reifen vernünftig verwertet werden kann. Dazu müssen die politischen Rahmenbedingungen passen. Und das kann auch nur im Interesse der Reifenhersteller sein. Die möchten nicht damit konfrontiert werden, dass durch irgendwelche dunklen Kanäle die Reifen in andere Länder verschifft werden, um sie dort zu deponieren oder zu verbrennen. Das kann nicht im Sinne derer sein, die das Produkt auf den Markt bringen. Also hat die Neureifenindustrie auch ein Interesse daran, dass die Reifen möglichst hochwertig verwertet werden und ein Reifen im Ideal­fall einen Lebenszyklus von 30 bis 40 Jahren haben kann. Hier findet ein Umdenken in der Neureifenindustrie statt. Ein Ziel ist es jetzt, mit Azur dafür zu sorgen, dass alle Reifen runderneuert werden können. Das ist bei Weitem noch nicht der Fall. Nur etwa 50 Prozent der Reifen sind überhaupt runderneuerungsfähig – und das sind in der Regel eher die Qualitäts- und Premiumreifen.

In Brüssel werden in schöner Regelmäßigkeit neue Gesetze verabschiedet, die sich mit Umweltthemen und zumindest teilweise auch mit dem Reifenrecycling beschäftigen. Gibt Ihnen das Rückenwind?
Wenn Sie mich das vor 14 Tagen gefragt hätten, hätte ich gesagt, das ist ein sehr mühsames Unterfangen. Nach aktuellen Informationen empfiehlt die Echa zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Reach-Beschränkungsvorschlag und ist der Ansicht, dass ein ganzheitlicher Ansatz zur Bewältigung der von PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) ausgehenden Risiken effektiver wäre. Das sind eher gute Nachrichten für den Einsatz von ELT-Gummigranulat in Sportstätten, Fallschutzmatten und so weiter.

Wie sieht es mit der Bundesregierung aus? Finden Sie dort Gehör?
Auch hier gilt es, dicke Bretter zu bohren. Vieles ist festgeschrieben. So kann derzeit jeder mit einem Gewerbeschein Altreifen einsammeln. Mehr braucht man nicht. Wir sind dabei, mit dem Umweltministerium einen Vorschlag auszuarbeiten, dass Altreifen ein nachweispflichtiger Abfallstrom werden und nur von zertifizierten Sammlern eingesammelt werden dürfen, die die Reifen auch sortieren müssen. Wenn wir das schaffen, dürfen keine runderneuerungsfähigen oder recyclingfähigen Reifen mehr ins außereuropä­ische Ausland exportiert werden.

Viele Ihrer Mitglieder sind deutsche Firmen und Organisationen. Wäre es nicht sinnvoll, sich zumindest auf EU-Ebene auch international zu organisieren?
Wir haben Azur zunächst für den deutschsprachigen Raum gegründet. Es sind inzwischen aber auch Unternehmen aus Italien, den Niederlanden, Norwegen und sogar aus Indien dabei. Auf einem Treffen im August wollen wir diskutieren, wie wir Azur europäischer positionieren können. Und wir werden auch diskutieren, ob wir die Form, in der wir aufgestellt sind, optimieren können.

Welche Maßnahmen müssten aus Ihrer Sicht ergriffen werden, um Reifen tatsächlich in einem Kreislauf zu führen?
Das sind zunächst einmal zertifizierte Entsorger. Wenn die Reifen ordentlich gesammelt werden und die Entsorger die Reifen professionell sortieren und an zertifizierte Unternehmen weitergeben, könnten wir den nicht gesetzeskonformen Export besser unterbinden. Das Zweite wäre, die illegale Entsorgung in Deutschland besser in den Griff zu bekommen. Die illegalen Ablagerungen, die wir bei Zare erfassen, sind überwiegend Ablagerungen von 50 bis 100 Reifen. Wenn jeder sammeln darf, werden die guten Reifen auf dem Gebrauchtmarkt verkauft und die schlechten abgelagert. Das könnten wir mit einer Zertifizierung lösen.

Außerdem könnte der Bund bei den runderneuerten Reifen im kommunalen Bereich mit gutem Beispiel vorangehen. Es gibt beispielsweise keinen Grund, wa­rum ein Müllwagen auf neuen Reifen fährt. Die könnten alle auf runderneuerten Reifen fahren, da spricht nichts dagegen. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Es wäre gut, wenn die gesetzlichen Regelungen zum Beispiel beim Thema PAK schneller umgesetzt werden. Es gibt Prozesse, die zehn oder zwölf Jahre in der Schwebe sind. Das hindert die Industrie, sich weiterzuentwickeln und innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Und es ist nicht gut für die Umwelt, weil weiterhin unnötig Abfall entsteht.

Was haben Sie sich für die nächsten drei Jahre vorgenommen?
Wir stehen mit den Themen Recycling, Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle relativ am Anfang. Speziell der Reifenmarkt ist ein enormer Volumenmarkt. Ich denke, es gibt noch sehr viel Potenzial, es besser zu machen – da­ran arbeiten wir. Wir überlegen uns, ob wir uns europäischer aufstellen müssen und machen uns Gedanken, wie wir mit den Themen eventuell über die Automobilklubs auch die Autofahrer erreichen können. Wir wollen auf jeden Fall die Wissenschaft im Boot halten.

Aktuell begleiten wir ein Projekt der TH Köln, das sich mit der gesamten Kreislaufwirtschaft beschäftigt. Vielleicht wird zukünftig der Reifen nicht mehr gekauft, sondern bleibt Eigentum des Autoherstellers oder des Reifenherstellers? Das sind ganz neue Überlegungen und ich kann noch nicht sagen, ob daraus etwas werden wird. Aber wir haben so viele kluge Leute im Netzwerk, die komplett neu denken – vielleicht sprechen wir in vier, fünf Jahren über ganz andere Konzepte, um dem Klimawandel entgegenwirken zu können. Wenn wir auf deutschsprachiger oder EU-Ebene Ideen entwickeln, dann können wir die Ideen und Konzepte vielleicht auch in andere Länder und Kontinente exportieren.

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