Warten auf den Ansturm

Die Herstellung von Rezyklaten für Lebensmittelverpackungen gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben im Kunststoffrecycling.
© Interzero

Interzero hat sich dieser Aufgabe angenommen und erfolgreich eine Lösung gefunden. Was jetzt noch fehlt, ist die Nachfrage der Kunden.

Manchmal muss man ein wenig suchen, um die spannenden Dinge zu finden. Im Fall der Interzero Plastics Processing GmbH heißt das vor allem: runter von der Autobahn, durch Wiesen und Wälder. Denn der Standort Liebenau liegt zwar direkt an der Weser, aber die nächste Autobahnauffahrt ist 50 Kilometer entfernt.

Rund 80 Kilometer nordöstlich von Hannover liegt einer der Recyclingstandorte des Unternehmens Interzero, das 2022 aus der Aufteilung der Alba-Group hervorging. Der Standort in Liebenau ist wie so oft historisch bedingt. Schon lange werden hier Produktionsabfälle aus der Druckindustrie verarbeitet, die in der Region weit verbreitet war und ist. Die Rede ist nicht von Zeitungen und Zeitschriften, sondern von Verpackungen. PO-, LD-, HP- und PP-Abfälle werden über den unternehmenseigenen Containerdienst angenommen. Am Standort Liebenau angekommen, werden sie zerkleinert und mit zwei Extrudern regranuliert. Das Material, das dafür nicht geeignet ist, geht als Ersatzbrennstoff zum Beispiel in die Zementindustrie. Druckereien haben ein besonderes Anliegen, wie Patrick Neumann erläutert. Das Druckbild muss zerstört werden. Früher war es üblich, das Material ins Ausland zu verkaufen. Dort konnten dann Produktnachahmungen hergestellt und in der Originalverpackung vertrieben werden. Bei Interzero wird darauf geachtet, dass dies nicht passiert. Deshalb spielt EBS aktuell noch eine wichtige Rolle. Denn zum einen kann so die Zerstörung des Druckbildes sichergestellt werden. Zum anderen gibt es eben einen gewissen Materialanteil, der sich nicht für ein werkstoffliches Recycling eignet und entsprechend anders verwertet werden muss.
Die eingehende Ware wird einer Qualitätskontrolle unterzogen, um festzustellen, ob sie in das aktuelle Portfolio passt. Eine Reihe von Kunden hat das Material für die unterschiedlichsten Anwendungen qualifiziert. Vor allem aus der Baubranche war die Nachfrage groß. Dies hat sich aufgrund der allgemeinen Situation im Bausektor geändert. Deshalb muss man sich auch in Liebenau die Frage stellen, für welche Anwendungen das Material in Zukunft eingesetzt werden kann. „Nur mit Baueimern funktioniert es nicht“, erklärt Patrick Neumann.

Jetzt auch rPET

Das mag einer der Gründe sein, warum in Liebenau seit etwa anderthalb Jahren auch rPET hergestellt wird. Anders als bei den Druckfolien wird hier aber nicht direkt mit den Abfällen gearbeitet. Vielmehr werden Flakes angeliefert, die dann zu Granulat verarbeitet werden. Das Wichtigste dabei: Das Material kann in Lebensmittelanwendungen eingesetzt werden. Mit der rPET-Anlage wurde in Liebenau nicht nur die Kapazität von 12.000 auf 24.000 Tonnen pro Jahr erhöht. Vielmehr ist sie für die Interzero-Gruppe ein wichtiges Pilotprojekt zur Erweiterung des eigenen Produktportfolios.

Die Flakes stammen von Pfandflaschen aus dem Lebensmitteleinzelhandel, die zerkleinert, heiß gewaschen und nach Liebenau geliefert werden. Dort beginnt die eigentliche Arbeit. Im vollautomatischen Aufbereitungsprozess werden die Flakes zunächst homogenisiert und anschließend mittels Nah-Infrarot-Technologie nachsortiert. So werden mögliche Störstoffe herausgefiltert. Der Extrusionsprozess findet unter Vakuum und unter Zugabe von Stickstoff statt. Bei 280 bis 300 Grad Celsius wird aus den Flakes ein rPET-Granulat. Anschließend wird das Granulat für 8 bis 12 Stunden in Silos gelagert. Eine abschließende Qualitätskontrolle stellt die Lebensmitteltauglichkeit des Materials sicher. Technologie und Prozessabläufe sind zertifiziert, sodass das Endprodukt den Anforderungen der EFSA entspricht. Und die sind schon etwas strenger als in vielen anderen Regionen der Welt, wie Neumann betont.

Es wird ausschließlich Material aus Pfandflaschen verwendet. Es können zwar 5 Prozent anderes Flaschenmaterial beigemischt werden, aber auch dieses muss zertifiziert sein. Anderes Material ist nicht zulässig – und für das Unternehmen auch nicht interessant. Denn das hätte Auswirkungen auf die technischen Eigenschaften, wie Neumann erklärt.

Langer Vorlauf

Bis das erste rPET in neuen Lebensmittelanwendungen eingesetzt werden kann, ist es noch ein weiter Weg. Im Frühjahr 2023 wurde die Anlage in Betrieb genommen. Seit Herbst 2023 läuft sie stabil. Die endgültige Freigabe erfolgte im Mai 2024, rund ein Jahr nach der Inbetriebnahme. Dazwischen lag ein Lernprozess, um die Anlage und die Prozesse immer weiter zu optimieren. Und natürlich immer wieder Prüfungen und Abnahmen durch die zuständigen Behörden. Das sind nicht wenige, was den Prozess natürlich deutlich in die Länge zieht. Hier sieht Neumann auch dringenden Handlungsbedarf, vor allem mit Blick auf 2030, wenn weitere Mindestrecyclingquoten gelten. Mittlerweile dauere die Genehmigung einer neuen Anlage mehrere Jahre – ein unhaltbarer Zustand, so Marcel Thor. Damit fehle der gesamten Wertschöpfungskette – nicht nur den Recyclern – die Sicherheit.

Zögerliche Kunden

Doch in Liebenau ist man nicht undankbar, dass es etwas länger gedauert hat. „Jeder neu eingeführte Prozess hat am Anfang seine Kinderkrankheiten“, erklärt Thor. „Deshalb war es auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut, dass wir etwas Vorlauf hatten.“ Denn richtig los geht es, wenn ab 2025 die von der EU vorgeschriebene Materialeinsatzquote greift. Ob es dazu kommt, ist noch offen. Momentan scheint die Verpackungsbranche bis zum letzten Moment abwarten – entweder, weil sie sich der Anforderung nicht bewusst sind, oder, weil sie hoffen, dass sich noch etwas ändert. Es ist auch nicht auszuschließen, dass einige Unternehmen sogar Strafzahlungen in Kauf nehmen. Vor allem dann, wenn diese geringer ausfallen als die Mehrkosten für rPET. Deshalb hält Neumann auch wenig von Strafzahlungen, die seiner Meinung nach nicht zu einem Umdenken führen. Aus seiner Sicht wäre es sinnvoller, ein positives Engagement zu incentivieren – und zwar so, dass es auch bei den Verbraucher*innen ankommt. Auf jeden Fall müsse ein Um­­­denken stattfinden. Dennoch ist man in Liebenau zuversichtlich, dass die Nachfrage kommen wird – vermutlich dann geballt im Dezember. Man ist optimistisch und fühlt sich gut vorbereitet. „Wir sind bereit“, betont Neumann. Und die Nachfrage wird kommen. Wahrscheinlicher jedenfalls, als dass Liebenau einen Autobahnanschluss bekommt.

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