Es mangelt auch an konsequenter Unterstützung der klimafreundlichen Technologie seitens der Politik. Zwar gestatten die EU-Kriterien für die umweltorientierte öffentliche Beschaffung im Bereich Straßenverkehr die rechtssichere Ausstattung aller Fahrzeuge der öffentlichen Hand mit runderneuerten Reifen. In der Praxis verhindert jedoch die EU-Taxonomie-Verordnung zum straßengebundenen Güter- und Personentransport den Einsatz ebendieser Runderneuerten, da diese noch immer nicht im Anwendungsbereich der Reifenkennzeichnungsverordnung enthalten sind.
Der Selbst-Widerspruch der EU-Kommission gegen ihre eigenen Kriterien und Verordnungen hat drastische Folgen für den Umwelt- und Klimaschutz, da die Runderneuerung in Europa jährlich hunderttausende Tonnen Abfälle vermeidet, CO₂-Emissionen spart und die natürlichen Ressourcen schont. Die widersprüchliche EU-Politik hat zudem bedrohliche ökonomische Auswirkungen auf die Runderneuerungsbetriebe. Erst kürzlich wurde bei einem größeren Verkehrsbetrieb der Ankauf/Einsatz von runderneuerten Reifen aufgrund der EU-Taxonomie-Verordnung gestoppt, was den Runderneuerer in eine wirtschaftliche Schieflage brachte.
Mit der EU-Taxonomie-Verordnung versucht die EU-Kommission, Wirtschaftsaktivitäten in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit zu klassifizieren. Die Nachhaltigkeit von Unternehmen soll bewertet und gefördert werden. Wirtschaftstätigkeiten gelten laut EU-Taxonomie dann als ökologisch nachhaltig (taxonomiekonform), wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs in der EU-Taxonomie festgelegten Umweltziele leisten:
- Klimaschutz
- Anpassung an den Klimawandel
- Nachhaltige Nutzung und Schutz von natürlichen Ressourcen
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
- Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen
Die EU-Verordnung betrifft auch den straßengebundenen Güter- und Personentransport und bezieht sich unter anderem auch auf den Einsatz „geeigneter Bereifung“. Bei den Maßnahmen zur „Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“ wurden (Neu-)Reifen festgelegt, die nach der aktuellen Reifenkennzeichnungsverordnung (EU) 2020/740 die in der jeweiligen Reifenklasse verfügbare geringste Abrollgeräusch-Reifenlabel-Klassifizierung und eine der beiden besten Rollwiderstands-Klassifizierungen aufweisen.
Da runderneuerte Reifen aktuell noch immer nicht im Anwendungsbereich der Reifenkennzeichnungsverordnung enthalten sind, heißt das im Umkehrschluss: Runderneuerte Reifen sind generell außen vor oder eben ungeeignet. Hier widerspricht die EU ihren eigenen Verordnungen, wogegen der europäische Runderneuerungsverband BIPAVER und die Allianz Zukunft Reifen (AZuR) massiv Einspruch erhoben haben.
BIPAVER versucht bereits seit Jahren, gemeinsam mit der Neureifenindustrie (ETRMA/ETRTO), zumindest für runderneuerte C3-Reifen (Lkw- und Bus-Reifen) eine Möglichkeit zur Erteilung/Erstellung eines Reifenlabels auf den Weg zu bringen. Mit diesem Reifenlabel wäre die Integration runderneuerter Lkw- und Bus-Reifen in die Reifenkennzeichnungsverordnung und damit auch in die Taxonomie-Verordnung möglich.
Immerhin konnte erreicht werden, dass in den EU-Kriterien für die umweltorientierte öffentliche Beschaffung im Bereich Straßenverkehr runderneuerte Reifen in Bezug auf Umwelt- und Sicherheits-Eigenschaften entsprechend gelabelten Neureifen gleichgestellt werden – unter der Maßgabe, dass die runderneuerten Reifen nach ECE R 108/109 typgenehmigt sind.
Der BRV und AZuR haben die EU-Kommission wiederholt auf diesen Selbst-Widerspruch hingewiesen und bereits mehrmals gefordert, hier schnellstmöglich eine Anpassung zugunsten der Einsetzbarkeit von runderneuerten Reifen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang wurde die EU-Kommission nochmals auf die Dringlichkeit der längst überfälligen Integration runderneuerter C3-Reifen in die Reifenkennzeichnungsverordnung hingewiesen.
Nur so kann sichergestellt werden, dass runderneuerte Reifen im Rahmen der nachhaltigen europäischen Reifen-Kreislaufwirtschaft endlich die Stellung erhalten, die ihnen schon lange zustünde. Nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts Umsicht bieten Runderneuerte bei identischer Qualität, Sicherheit und Performance wie vergleichbare Neureifen deutliche Vorteile in der Ökobilanz. Die Runderneuerung spart gegenüber der Neureifenherstellung über 60 Prozent CO₂-Emissionen und rund zwei Drittel der Rohstoffe (vor allem Kautschuk) ein. Zudem benötigt die Runderneuerung im Vergleich zur Neureifenherstellung rund 50 Prozent weniger Energie.