Und das werkstoffliche Recycling scheitert spätestens bei Misch- und Verbundmaterialien. Wilfried Schraufstetter hat eine umweltfreundliche Lösung entwickelt, um diese Kunststoffe im Kreislauf zu führen.
Kaum jemand würde vermuten, dass in einem kleinen Ort südlich von Altötting eine hochmoderne Recyclinganlage steht. Kein Schild weist auf die Firma Biocon von Wilfried Schraufstetter hin. Der heute 85-jährige Maschinenbauer, Elektromeister, technische Zeichner und Stahlbaumeister arbeitet seit Anfang der 80er-Jahre an einer Biogasanlage. Seit 1995 beschäftigt er sich mit der Rückgewinnung von Öl aus Kunststoffen – mit Erfolg.
Das Prinzip der Anlage ist denkbar einfach: Das aufgegebene Material wird gepresst, da es sauerstofffrei transportiert werden muss. Anschließend zerkleinert eine Fräse das feste Material. Zusammen mit einem Katalysator, der für die Trennung benötigt wird, gelangt das Material in einen Reaktor. Unter Ausschluss von Sauerstoff wird es auf 330 Grad erhitzt. Der Dampf wird in einen Kondensator geleitet, aus dem das Öl gewonnen wird. Das Material, das nicht vergoren werden kann, fällt als Schlacke an. Diese wird abgekühlt und kann anschließend getrocknet und aufbereitet werden. Je nach Inputmaterial enthält die Schlacke einen hohen Anteil an Aluminium, teilweise bis zu 50 Prozent. Auch das gewonnene Öl kann abgetrennt und in Raffinerien als Basis für neue Kunststoffe verwendet werden.
Letztlich handelt es sich um ein Pyrolyseverfahren. Da aber mit relativ niedrigen Temperaturen gearbeitet wird, ist der Energieverbrauch gering. Zudem kann ein Teil der Prozessenergie zur Beheizung des Reaktors genutzt werden.
Alles geht rein
Hinsichtlich des Inputmaterials ist die Anlage wenig anspruchsvoll. Das Material muss lediglich eine Korngröße zwischen 3 und 15 Millimetern haben und trocken sein, erklärt Schraufstetter. Ansonsten darf es alles sein, was mit Kunststoff zu tun hat, auch Gummigranulat ist kein Problem. Besonders interessant sind laut Schraufstetter Mischkunststoffe, mit denen sonst niemand etwas anfangen kann. So könne man verhindern, dass diese Abfälle verbrannt werden. Außerdem können Metalle zurückgewonnen werden. Deshalb sei das Verfahren auch für Abfälle aus dem gelben Sack mit hohem Aluminiumanteil hervorragend geeignet.
Die chemische Umwandlung im Reaktor erfolgt in weniger als einer Sekunde. Es entsteht ein hochwertiges Mitteldestillat, dessen Qualität oft höher ist als die der üblicherweise verfügbaren Öle. Durch den geschlossenen Kreislauf und das drucklose Verfahren entstehen keine Umweltbelastungen. Die relativ niedrigen Temperaturen verhindern zudem die Bildung von Dioxinen oder Furanen. Da die Temperaturen bei über 300 Grad liegen, werden dennoch alle Bakterien und Viren abgetötet. Unabhängig davon empfiehlt Schraufstetter bei kontaminierten Materialien zunächst eine Desinfektion.
Die katalytische, drucklose Verölung ist ein Depolymerisationsverfahren. Dabei werden künstliche oder natürliche Polymere und langkettige Kohlenwasserstoffe in kurzkettige aliphatische Kohlenwasserstoffe umgewandelt. Das Endprodukt ist mit synthetischen Leichtölen vergleichbar. Der Wirkungsgrad liegt je nach Einsatzstoff zwischen 20 Prozent (Biomasse) und 80 Prozent (energiereiche Kunststoffe). Der hoch konzentrierte mineralische Katalysator bewirkt die Umwandlung der Einsatzstoffe unter technisch kontrollierbaren Bedingungen bei hohen Temperaturen und unter Luftabschluss in heißem Öl. Durch die Vermischung des Ausgangsmaterials mit dem Katalysator und die Erhitzung im Reaktionsbehälter verliert das Ausgangsmaterial seine feste Konsistenz und verflüssigt sich. Die meisten Kunststoffe schmelzen und emulgieren im Thermoöl. Durch die Zugabe des Katalysators werden die Kohlenwasserstoffe gecrackt.
Sofern Schwefelverbindungen in der Inputmasse enthalten sind, müssen diese weiter entfernt werden. Halogene, die zum Beispiel in PVC oder anderen Kunststoffen enthalten sind, werden durch einen Neutralisator zu Salzen gebunden. Die bei der Reaktion nicht gecrackten Kohlenwasserstoffe sowie die übrigen im Einsatzstoff enthaltenen Stoffe wie Metalle, Salze, Kohlenstoff, Lignine (bei Holz), aber auch verbrauchter und zersetzter Katalysator verbleiben im Reaktionsbehälter und werden über eine Förderschnecke ausgetragen. Das Gemisch aus verbrauchtem Katalysator und den anderen Rückständen und Ölen wird weiter aufbereitet, der Katalysator wird recycelt.
Als Katalysator werden Zeolithe vom Typ Pentasil und Wassalith verwendet. Die benötigte Katalysatormenge beträgt je nach Einsatzstoff circa 5 bis 9 Prozent des Einsatzmaterials. Bei chlor- und fluorhaltigen Materialien wird Kalkhydrat verwendet, um die im Prozess entstehenden Säuren zu neutralisieren. Katalysator und Neutralisationsmittel sind handelsübliche Produkte, die chemisch unproblematisch zu handhaben sind.
Viele Vorteile
Die Vorteile der Anlage sind vielfältig. Durch die Nutzung aller Energieeinsparpotenziale und die Vermeidung von Energieverlusten ist der Wirkungsgrad sehr hoch. Die anfallende Wärme wird im Prozess genutzt. Anfallende Gase werden in einem angeschlossenen Blockheizkraftwerk in Strom und Wärme umgewandelt. Das System ist geschlossen, sodass keine Emissionen austreten.
Da die Anlage keinen rotierenden Reaktor besitzt, ist der Wartungsaufwand gering. Zudem sind die einzelnen Komponenten leicht austauschbar, da sie in Modul- bzw. Containerbauweise errichtet werden. Fernsteuerung und -wartung sowie Sensoren zur „vorausschauenden Wartung“ reduzieren Ausfall- und Wartungszeiten auf ein Minimum. Darüber hinaus ist die Anlage beliebig erweiterbar. Aufgrund ihrer geringen Größe ist auch eine dezentrale Verarbeitung des Materials möglich.
Als weitere wesentliche Vorteile nennt Schraufstetter die hohe Ausbeute. Dieser resultiert aus dem effektiven Verfahren und der Einfachheit der Anlage, die geringe laufende Kosten verursacht. Außerdem sei seine Anlage deutlich günstiger als andere. Den Produktionspreis pro Liter Öl beziffert Schraufstetter mit etwa 0,22 Euro. Zudem sei das Endprodukt von hervorragender Qualität und könne ohne Einschränkung als Treibstoff oder Heizöl verwendet werden. Allerdings betont Schraufstetter, dass das eigentliche Ziel der Anlage sei, Grundstoffe für die Kunststoffherstellung zurückzugewinnen.
Nicht zu vergessen bei den Vorteilen ist, dass die Anlage vollautomatisch arbeitet. Ein 24-Stunden-Betrieb ist laut Schraufstetter notwendig, da das An- und Abfahren zu lange dauert. Pro Stunde können aus 300 Kilogramm Inputmaterial rund 250 Kilogramm Output gewonnen werden.
Verfahren für die Zukunft
Insgesamt zwölf Anlagen von Schraufstetter werden bisher weltweit betrieben, etwa in Kanada und Brasilien. In Deutschland gebe es auch Anlagen, aber es sei grundsätzlich schwierig, da die Genehmigungsverfahren zu lange dauerten. Vielleicht wird sich das in Zukunft ändern: Die EU und die Bundesregierung haben sich ja bekanntlich Kreislaufwirtschaft und Entbürokratisierung auf die Fahnen geschrieben. Und der Bedarf an technischen Lösungen für das Kunststoffproblem wird bekanntlich nicht kleiner.