„Lassen Sie uns an einem Strang ziehen!“, rief ISTE-Hauptgeschäftsführer Thomas Beißwenger den Gästen des Recycling-Tages in seiner Begrüßung zu. Nach 15 Jahren der Diskussionen sei die Mantelverordnung nun da. Es gelte jetzt, sie in die Wirklichkeit umzusetzen und mit ihrer Hilfe durch modernes Recycling heimische Rohstoffquellen zu schonen. Die gesamte Branche stehe vor gewaltigen Herausforderungen: nicht nur durch neue nationale und internationale Regelwerke, sondern insbesondere durch Aufgaben wie dem Wohnungsbau und zahlreicher Anlagen für die Energiewende. All dies vor dem Hintergrund dramatisch gestiegene Energiekosten sowie einer hohen Inflation. „Wir müssen uns aus dieser Situation herausbauen“, so Beißwenger.
Plädoyer für mehr Gemeinsamkeit
Gemeinsame Anstrengungen von Unternehmen, Politik und Verwaltung auf dem Weg zum „zirkulären Bauen“ stellte denn auch der baden-württembergische Umweltstaatssekretär Dr. Andre Baumann MdL in den Mittelpunkt seiner Keynote. „Ihre Themen sind auch unsere Themen“, stellte der Politiker fest und nannte als Beispiele dafür Wohnungsbau, Verkehrsinfrastruktur und Energiewende. Dafür brauche man mineralische Rohstoffe. Es gelte angesichts der aktuellen Herausforderungen und mit Blick auf künftiges Recycling, sektorales Denken zu überwinden. Dem Qualitätssicherungssystem Recyclingbaustoffe (QRB) stellte er in Aussicht, bald als Güteüberwachungssystem anerkannt zu werden.
Eine wichtige Vorbildfunktion für die Akzeptanz rezyklierter Baustoffe habe die öffentliche Hand. Baumann machte sich stark für produktneutrale Ausschreibungen und forderte die Unternehmerinnen und Unternehmer der Branche auf, mangelhafte Ausschreibungen zu melden. In Baden-Württemberg wolle man bereits Teile der Mantelverordnung zum Jahresbeginn 2023 in Kraft setzen, um frühzeitig Erfahrungen zu sammeln. „Wir haben noch gewaltige ökonomische und ökologische Potenziale beim Klimaschutz“, sagte Baumann. Wenn es gelinge, diese zu nutzen, könne Baden-Württemberg erstes klimaneutrales Industrieland der Welt werden.
Zahlreiche neue Herausforderungen
Abgesehen von der Umsetzung der Mantelverordnung habe die Rohstoffbranche mit zahlreichen neuen Herausforderungen zu tun. Christa Szenkler, Vorsitzende der Fachgruppe Recycling-Baustoffe und Boden im ISTE, nannte besonders die sogenannte Taxonomie, die im Rahmen des Green Deal der EU entwickelt wurde und neben Berichtspflichten für die Unternehmen auch Refinanzierungsaspekte beinhaltet. Sie beklagte, dass immer noch nicht klar sei, wer mit Blick auf Bauschutt der Abfallerzeuger sei. In den Augen der Wirtschaft sei dies immer der beauftragende Bauherr und nicht die ausführende Baufirma. Hier müsse der Gesetzgeber schnellstens tätig werden, verlangte sie unter großem Beifall der Teilnehmer. Angesichts des großen bürokratischen Aufwands, der nicht zuletzt durch die Mantelverordnung entstehe, wundere sie sich, dass überhaupt noch Bauschutt-Recycling stattfinde. Es gelte, die Vielzahl von Regelungen zu verringern und übersichtlicher zu gestalten. Dieser Forderung konnte auch Staatssekretär Baumann zustimmen.
Wegweiser durch den Regelungsdschungel
Als Wegweiser durch den Regelungsdschungel der Mantelverordnung erläuterte Dr. Bernd Susset, ISTE-Referent und QRB-Geschäftsführer, die wesentlichen Neuerungen. Diese bundeseinheitliche Regelung habe im Laufe ihres Entstehens viele Kompromisse erfordert, sagte er. Daher könne sie fachlich noch nicht perfekt sein, was sich auch in einer aktuellen Novelle widerspiegele. Auch er beklagte die hohe bürokratische Regelungsdichte, welche manchmal sogar zu Widersprüchen führe. Anhand von konkreten Beispielmessungen unter den Bedingungen der neuen Ersatzbaustoff-Verordnung machte Susset Methoden und Anwendungen deutlich, welche die Unternehmen bald im Alltag erwarten. In den allermeisten Fällen könne er im Vergleich zu bisherigen Regelungen jedoch „Entwarnung“ geben, sagte er.
Zusammen mit dem ehemaligen Ministerialrat im baden-württembergischen Umweltministerium, Peter Dihlmann, ist Susset Verfasser des Praxishandbuchs „Einführung in die Mantelverordnung“. Das Buch wolle gut verständlich praktische Handlungsanleitungen geben für den künftigen Umgang mit Recycling-Baustoffen in Bau- oder Recycling-Unternehmen sowie bei Verfüllungen, erläuterten die beiden Autoren bei der Vorstellung ihres Standardwerks. Schematische Darstellungen und Übersichtsblätter sollen den Nutzern helfen, sich in der neuen Welt der Mantelverordnung zurechtzufinden.
Die Verwaltung bereitet sich vor
Wie sich die baden-württembergische Umwelt- bzw. die Straßenbau-Verwaltung auf die Umsetzung der Ersatzbaustoffverordnung vorbereiten, erläuterten Dr. Daniel Laux aus dem Stuttgarter Umweltministerium und Dr. Thomas Chakar aus dem Verkehrsministerium. Beide sprachen von großen Herausforderungen für ihre Häuser angesichts von rund 12 Millionen Tonnen Bauschutt und 28 Millionen Tonnen Bodenaushub, die jährlich allein in Baden-Württemberg anfielen. Sie plädierten für pragmatische Lösungen, welche derzeit von interministeriellen Arbeitsgruppen auf Landesebene erarbeitet würden. Ein Übergangserlass werde bereits ab dem 1.1.2023 Teile der Ersatzbaustoffverordnung in Baden-Württemberg in Kraft setzen. Besonderes Augenmerk komme hier teer- und pechhaltigem Straßenaufbruch zu. Zwei Anlagen zur thermischen Verwertung dieses Materials stünden in Baden-Württemberg vor der Eröffnung ihrer Genehmigungsverfahren.
Neue Regelungen und kein Ende
Wie viele neue Regelungen die Branche jenseits der Mantelverordnung erwarten, zeigte das weitere Programm dieses Recycling-Tages. Tanja Lenz vom „Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden“ (bbs) in Berlin stellte die EU-Taxonomie im Detail vor. Von Berichtspflichten und Konsequenzen für die Refinanzierung durch Banken seien bald nicht mehr nur Großunternehmen betroffen, sagte sie. Auch der Mittelstand müsse sich unbedingt mit diesem Thema beschäftigen. Tanja Lenz: „Brüssel ist nicht weit weg, sondern ganz nahe, etwa wenn es um Finanzierungen geht.“
Anna Hinzer, Rechtsanwältin in der Kanzlei Franßen und Nusser in Düsseldorf, beleuchtete die immer wieder auftauchende, aber noch unbeantwortete Frage nach dem Ende des Abfall- und dem Beginn des Produktstatus bei mineralischen Gemischen. Anhand von konkreten Fallkonstellationen und Beispielen führte sie eindrücklich vor Augen, wie sehr dieser Status von juristischen Überlegungen jenseits empfundener Vernunft geprägt ist.
Hans Albrich vom „GIU – Gewerbliches Institut für Umweltanalytik“ in Tübingen beschäftigte sich mit dem heißen Eisen „Asbest“. Er stellte die Fortschreibung des LAGA-Merkblattes M23 zum Umgang mit asbesthaltigem Material vor. Asbest sei ubiquitär, sagte er, und eine absolute Asbestfreiheit gebe es nicht. Deshalb sei es wichtig, bereits an der Anfallstelle das Abbruchmaterial zu analysieren und auf möglichen Asbestgehalt zu untersuchen. Albrich riet RC-Betrieben dringend davon ab, unsicheres oder ungenügend geprüftes Material anzunehmen.
Neue Verwertungswege lassen hoffen
Einen hoffnungsvollen Ausblick auf zukünftige neue Verwertungswege von Recyclingmaterial im Beton gab Professor Dr.-Ing. Frank Dehn vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Bauen ohne Beton sei auch in Zukunft nicht denkbar, stellte er fest. Es gehe jetzt aber darum, Zusammensetzung und Produktionsprozess zu dekarbonisieren. Dabei könnten Recyclingmaterialien, aber auch Waschschlämme aus der Sand- und Kiesproduktion als Zementersatz künftig wichtige Rollen spielen.
Wie weit ein großer Zementproduzent wie Holcim bereits auf dem Weg zu CO₂ -armen Produkten fortgeschritten ist, führte Dr. Peter Kruspan aus Basel vor Augen. Zement-Bestandteile aus anthropogenen Materiallagern würden künftig den entscheidenden Beitrag zur Herstellung neuer Baustoffe bilden, sagte er. Die bisherige Art zu recyceln, reiche langfristig nicht aus, um den Bedarf zu decken. Er plädierte dafür, „Produkte von ihrer Funktionalität her zu denken und nicht von ihrer Herkunft“. Die entsprechenden Herausforderungen sehe er als Chance, sowohl um den Bedarf an Primärmaterial zu senken als auch um klimafreundliche Bauprodukte zu erzeugen.
Die biologische Aufbereitung organisch kontaminierter Bodenmaterialien mit der Bodenbehandlungsanlage seines Unternehmens stellte Jörg Czischek von der Fischer Weilheim GmbH und Co. KG vor. Mit dieser Anlage sei es möglich, ohne lange Transportwege und mithilfe von Mikroorganismen Bodenmaterialien von Schadstoffen zu befreien. Diese einzige derartige Anlage im Großraum Stuttgart trage nicht unerheblich zur Ressourcenschonung bei.
Lehm als seit der Antike bekannter und beliebter Baustoff und seine Modernität standen im Mittelpunkt des Vortrages von Thomas Glück. Der Stukkateurmeister aus Lauterbach im Schwarzwald hat sich mit seinem Unternehmen insbesondere auf Stampflehmbauweisen spezialisiert. Damit lassen sich nicht nur außerordentlich angenehme, selbstregulierende Raumklimata schaffen, sondern auch tragende Wände errichten, sagte er. Eine Vielzahl von beeindruckenden Bauwerken – vom privaten über den religiösen bis zum industriellen Bereich – zeigte, dass der Klassiker Lehm möglicherweise ein wichtiges Baumaterial der Zukunft sein könnte. So ließen sich Böden in Bauten verwandeln, meinte der Handwerksmeister.