Mit der KI-Lösung des britischen Tech-Start-ups Greyparrot lässt sich die Zusammensetzung der Abfallströme in Echtzeit einsehen. Betreiber von Abfall- und Kunststoffsortieranlagen können so die Materialqualität kontinuierlich und automatisiert überwachen und bessere Entscheidungen durch datengestützte Transparenz treffen.
Graupapageien gelten als sehr intelligente Tiere. Ein besonderes Merkmal von ihnen ist, dass sie Laute und Wörter durch Beobachten erkennen und nachahmen können. Da KI-Technologien ebenfalls dazulernen und der Firmenname einen Bezug zur Natur haben sollte, fiel die Wahl im Zuge der Firmengründung 2019 auf „Greyparrot“ bei Name und Logo.
Den drei Mitgründern von Greyparrot waren Deep-Learning-Computer-Vision-Systeme nicht fremd. Mikela Druckman, Ambarish Mitra und Nikola Sivacki kamen vom Tech-Unicorn Blippar, das Augmented-Reality-Lösungen entwickelt und bis heute Finanzierungen in Höhe von 100 Millionen Pfund erhalten hat (Einhorn: Start-up, dessen Wert bei einer Milliarde US-Dollar oder darüber liegt, vor dem Börsengang oder einem Exit der Investoren). Greyparrot-CEO Mikela war ehemaliger Chief Commercial Officer bei Blippar, CPO Ambarish hatte als Serienunternehmer im Bereich der angewandten Computer Vision auch Blippar gegründet und Nikola ist ein Senior Deep Learning Engineer mit mehr als 15 Jahren Erfahrung im Bereich des angewandten Deep Learning, eine Methode der Informationsverarbeitung und Teilbereich des Machine Learnings, mit der sich mithilfe neuronaler Netze große Datensätze analysieren lassen. Computer Vision, „computerbasiertes Sehen“, ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) und Herz von Greyparrot, in dem Informationen aus visuellen Eingaben (Bildern) gewonnen und Maßnahmen daraus abgeleitet werden (Erkennen und Klassifizieren von Objekten).
Einsatz am Band
Das System besteht aus einer Monitoring-Einheit, die in bestehenden Anlagen über den Förderbändern montiert werden kann. Die von Kameras erfassten Bilder respektive visuellen Daten werden in ein KI-Computer-Vision-Modell eingespeist, das den Abfall in Echtzeit erfasst und eine detaillierte Analyse der Zusammensetzung liefert. Die KI wurde durch Milliarden von Trainingsdaten geschult und erkennt Abfallobjekte in 50 Abfallkategorien mit einer Fehlerquote von unter einem Prozent. Ein Live-Dashboard zeigt die Informationen über die Abfallzusammensetzung in Echtzeit an. Diese Daten lassen sich über die „AI Vision Integration“ (AI – Artifical Intelligence) in die Systeme von Drittanbietern einspeisen, um deren Leistung zu verbessern. Das umfasst beispielsweise optische Sortierer, Roboter, Ballenpressen oder SPS-Software (speicherprogrammierbare Steuerungs-Software). „Die AI Computer Vision erkennt Objekte anhand von Texturen, Farben, Formen, Reflexionen, Größen, Fragmenten und Mustern und identifiziert Objekte anhand von Materialien, Produkten oder Marken“, erklärt Greyparrot-Geschäftsführerin Mikela Druckman. Was NIR-Systeme an ihre Grenzen bringt, schafft die KI: Schwarze Kunststoffe und Verpackungen aus gemischten Materialien (wie gesleevte Flaschen) können ebenfalls identifiziert werden. Die KI kann die Objekte auch nach Verwendungszweck unterscheiden (Food oder Non-Food). Bei den verschiedene Kunststoffsorten muss das System allerdings passen. Es unterliegt in diesem Fall denselben Beschränkungen wie das menschliche Auge.
„Wir haben unser System so entwickelt, dass es flexibel genug ist, einen weiteren Sensor (zum Beispiel NIR) hinzuzufügen, um noch detailliertere Klassifizierungen vorzunehmen, die KI allein nicht erkennen kann“, erklärt Druckman. Für die Entwicklung eines hybriden KI/Nah-Infrarot (NIR) Abfallerkennungs- und Überwachungssystems hat Greyparrot zusammen mit dem Tech-Start-up Blue Green Vision als Partner eine Förderung in Höhe von 488.000 Euro erhalten.
Vergleich mit anderen Anbietern
Vergleiche mit Konkurrenten sieht Marketing-Managerin Alisa Pritchard gelassen: „Unser Gründerteam hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Skalierung von KI-Computer-Vision-Systemen in anderen Branchen, bevor wir sie auf den Abfallsektor übertragen haben.“ Greyparrot sieht sich selbst als die etablierteste und fortschrittlichste KI-Lösung auf dem Markt. Die Londoner gingen 2019 an den Start und haben seitdem mehr als 16 Millionen US-Dollar an Investorengeldern und 2 Millionen US-Dollar an staatlichen Zuschüssen erhalten – was dem Unternehmen einen großen Vorsprung in Bezug auf Technologie und Datenbestand verschafft. Andere Konkurrenten wie das deutsche Start-up WeSort.AI wurden entweder später gegründet (in diesem Fall Ende 2021) oder haben, wie Recycleye und AMP robotics, im Gegensatz zu Greyparrot einen starken Fokus auf Robotik, wobei die KI-Fähigkeiten in erster Linie an einen Robotikpartner gebunden sind.
Weiterentwicklung des Systems
Das Team von Greyparrot umfasst mittlerweile 25 Mitarbeiter und soll weiter wachsen, die Firma expandiert und entwickelt sich weiter. „In den letzten drei Jahren haben wir mehr als zehn Milliarden Verpackungen in Abfallentsorgungsanlagen erfasst, wodurch wir hochpräzise Erkennungsmodelle für mehr als 50 Abfallkategorien, darunter Kunststoffe, Fasern und Metalle, entwickeln konnten“, fasst Druckman zusammen und fährt fort: „Wir werden unsere Klassifikation auf über 100 Kategorien erweitern, um weitere Abfallströme wie Bau- und Abbruchabfälle abzudecken.“
Die CE-zertifizierten Monitoring-Einheiten sollen noch weitere Bildverarbeitungsfunktionen erhalten, das Dashboard mehr Funktionen und Integrationsmöglichkeiten, um bestehende Anlagen zu verbessern und Sortiereffizienz und Verwertungsraten zu erhöhen. Grundsätzlich sei es nach der CEO wichtig, ein flexibles Bildverarbeitungssystem zu entwickeln, das sich in eine Vielzahl von bestehenden, aber auch neuen Sortiermaschinen integrieren lässt, wenn sich die Branche weiterentwickelt.
Das Greyparrot-Team will zudem Hersteller und Entscheider in den Ministerien und Behörden erreichen. Druckman: „Wir wollen Einfluss auf das Verpackungsdesign nehmen und die durch die KI gewonnenen Daten und Erkenntnisse weitergeben. Unser Ziel ist es, alle Akteure in der Abfallwertschöpfungskette einzubinden, und dass die Branche, die eher ‚im Trüben fischt‘, einen datenbasierten Ansatz verfolgt.“
Greyparrot am Markt
Weltweit sind derzeit über 40 Systeme in über 20 Anlagen im Einsatz. Hauptkunden sind Aufbereitungsanlagen (MRF), Kunststoffrücksortieranlagen (PRF) und andere Wiederaufbereiter. Die meisten Greyparrot-Kunden sind in Großbritannien und Europa ansässig (Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Italien) und Branchenführer, wie Biffa, A2A, ARA/Digido, Suez und Veolia, die 60 Prozent des europäischen Abfallwirtschaftsmarktes abdecken. Es gehe nun darum, bestehende Partnerschaften mit wichtigen Branchenakteuren in Europa weiter zu vertiefen, so Druckman. 2023 plant Greyparrot den Eintritt in den amerikanischen und asiatischen Markt. KI-Systeme von Greyparrot sind darüber hinaus in Mexiko, Ägypten, Indien und Südkorea im Einsatz. „Unser Ziel ist es, der führende Anbieter von Abfallanalysesoftware zu werden, um die Recyclingquoten zu erhöhen und die Kreislaufwirtschaft zu fördern“, so Druckman abschließend.