Für die Produktion von Regalen, Schränken und anderen Möbelstücken werden oft mitteldichte Faserplatten (MDF) verwendet, da sie vorteilhafte Eigenschaften haben. Bei Schwankungen der Temperatur und Luftfeuchte im Raum verziehen sie sich kaum. Dank ihrer homogenen Struktur lassen sie sich sehr einfach zu Möbelstücken verleimen und sind gut streichfähig. In einem Forschungsprojekt der Designerin Sofia Souidi mit dem Fraunhofer-Institut für Holzforschung – Wilhelm-Klauditz-Institut (Fraunhofer WKI) wurden Holzfaserplatten entwickelt, die die Vorteile von MDF aufweisen sollen, aber ohne petrochemische Bindemittel hergestellt werden können. Daher emittierten die neu entwickelten Holzfaserplatten kein zusätzliches Formaldehyd.
Das Projektteam hat Leim aus dem Milchprotein Casein verwendet, der bereits im alten Ägypten als Klebstoff für den Möbel- und Bootsbau genutzt wurde. Wegen strenger Hygieneauflagen werden in Deutschland jedes Jahr rund zwei Millionen Liter Milch entsorgt. Daraus lässt sich Casein extrahieren. So kann das Casein-Bindemittel aus einem vorhandenen Abfallprodukt hergestellt werden – ohne Lebensmittelkonkurrenz.
„Gemeinsam mit der Produktdesignerin Sofia Souidi haben wir ein hochleistungsfähiges, formaldehydfreies Bindemittel auf Casein-Basis entwickelt. Kombiniert mit Holzfasern entsteht daraus ein Material, das wie MDF verarbeitet werden kann – wir nennen es Superwood. Es lässt sich sowohl zu Platten als auch zu Formteilen pressen und kann daher für den Möbelbau und in der Architektur eingesetzt werden“, berichtet Dr. Steffen Sydow, Projektleiter am Fraunhofer WKI. Designerin Sofia Souidi ergänzt: „Denkbar wäre die Herstellung von Platten aus unserem Material, die wie Gipskartonplatten vielseitig und unkompliziert im Innenausbau verwendet werden könnten.“
Ein Ziel der Kooperation zwischen der Designerin und dem Forscher bestand darin, recycelte Holzfasern aus Altholz zu verwenden, um daraus ein Material zu entwickeln, welches selbst vollständig recyclingfähig ist. Darüber hinaus wurde die Beimischung von andersfarbigen Forst- und Produktionsabfällen erprobt. Dadurch lässt sich eine Vielzahl gestalterischer Varianten erzeugen, die den Gedanken des Recyclings visuell transportieren.
In der ersten Projektphase konzentrierten sich die Forschungsarbeiten auf die Zusammensetzung und Optimierung des Materials im kleinindustriellen Maßstab. Hier konnten vielversprechende Ergebnisse erzielt werden, die in einer zweiten Projektphase auf den industriellen Maßstab übertragen wurden. „Für mich war die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer WKI im Hinblick auf die Überführung des Herstellungsprozesses in den industriellen Maßstab besonders gewinnbringend. In meiner Werkstatt war ich zuvor an die Grenzen der Umsetzbarkeit gelangt. Die technischen Möglichkeiten im Technikum des Fraunhofer WKI haben meine vorhergehenden Versuche auf die nächste Ebene gebracht. Darüber hinaus haben wir in der Zusammenarbeit festgestellt, dass die Verzahnung von Wissenschaft und Design Vorteile für beide Seiten bringt. Designspezifisches Wissen und die Einstellung, dass iterative Gestaltungsprozesse relevante und ästhetische Ergebnisse hervorbringen, fanden die ideale Ergänzung in der wissenschaftlichen Expertise am Fraunhofer WKI“ beschreibt die Designerin die Kooperation.
Aus ökologischen Gründen ist es sinnvoll, Produkte aus Holz oder Holzwerkstoffen stofflich wiederzuverwerten anstatt sie nach der ersten Nutzungsphase zu verbrennen oder zu deponieren. Damit gewinnen der Recyclingprozess sowie die Recyclingfähigkeit von Holzwerkstoffen an Bedeutung. Souidi und Sydow haben ein Recyclingkonzept für die Verwertung des Superwood-Materials nach Ende der Nutzungszeit erstellt.
Die Holzwerkstoffindustrie sowie Unternehmen im Bereich Möbelherstellung, Innenarchitektur, Messebau und Veranstaltungsorganisation erhalten aus Sicht der Projektpartner mit Superwood die Möglichkeit, zunehmend strengere Anforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Formaldehydemissionen einzuhalten. Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten des Materials ermöglichen demnach den Einsatz in neuen Geschäftsfeldern. Holz als Alternative für Beton werde aktuell in der Architektur immer attraktiver. Superwood könne als vielseitig gestaltbare Alternative zu Gipskartonplatten eingesetzt werden und somit für die Innenarchitektur beispielsweise in Tiny Houses interessant sein, in denen großflächig Material neu verbaut wird. Auch im Fahrzeuginterieur, wie im Innenausbau von Wohnmobilen und Wohnwagen, sei das Material wegen der 3D-Formbarkeit eine Alternative.
Die erste Projektphase von Juli 2019 bis August 2021 wurde durch das Fraunhofer-Netzwerk „Wissenschaft, Kunst und Design“ im Rahmen einer „Fraunhofer-Residenz“ gefördert. Das Fraunhofer-Netzwerk will mit seiner Arbeit dazu beitragen, den interdisziplinären Diskurs zwischen angewandter Forschung, Kunst und Design zu fördern. Die zweite Projektphase von September 2021 bis August 2022 wird durch die Ikea Stiftung gefördert.