Globale Erwärmung und bezahlbares Wohnen sind zwei dominierende Themen der öffentlichen Debatte. Klimaschutz erreicht man durch Reduktion des Treibhausgases Kohlendioxid. Wohnraum schafft man durch verstärkten Wohnungsbau. Dazu braucht es Beton, den wichtigsten Baustoff unserer modernen Welt. Beton erscheint auf den ersten Blick unproblematisch: Er enthält keinerlei fossile Brennstoffe, er ist ungiftig und schwimmt nicht als Plastikmüll in den Ozeanen. Aber der Eindruck täuscht, denn die Zementherstellung ist derzeit mit einem Anteil von rund 8 Prozent beziehungsweise 2,7 Milliarden Tonnen jährlich der größte industrielle Emittent an den weltweiten CO2-Emissionen, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe – meist Kohle – beim Brennen mit Temperaturen um 1.000 Grad Celsius und Sintern bei etwa 1.450 Grad Celsius entstehen.
Beton ist vielseitig einsetzbar, preiswert, sprichwörtlich hart und er lässt sich in fast jede beliebige Form gießen. Er besteht im Prinzip nur aus Sand, Kies, Wasser und dem Bindemittel Zement, der wiederum aus Kalk, Ton und einigen anderen Komponenten gebrannt wird und beim Aushärten stabile Kalziumsilikat-Hydrate bildet, die für die Eigenschaften des Betons verantwortlich sind.
Im Brennen des Kalks (CaCO3) liegt jedoch genau das Problem, denn hier wird für jedes produzierte Molekül Kalziumoxid (CaO), den sogenannten „gebrannten Kalk“, ein Molekül des Treibhausgases CO2 freigesetzt. Bei einer Weltjahresproduktion von rund 4,5 Milliarden Tonnen Zement sind das immerhin rund 2,7 Milliarden Tonnen CO2. Dies entspricht etwa der Hälfte der CO2-Emissionen aus dem Verkehr. China ist für etwa 50 Prozent, Deutschland für circa 1,5 Prozent der Emissionen durch die Zementproduktion verantwortlich.
Kalkbrennen umgehen durch Vermahlen des Rohkalks mit Natriumsilikat
Chemiker der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun eine Methode entwickelt, die den CO2-Ausstoß der Zementproduktion langfristig drastisch reduzieren könnte. Dabei wird der Rohkalk (CaCO3) nicht mehr in kohlenbefeuerten Brennöfen in gebrannten Kalk überführt, sondern lediglich mit festem Natriumsilikat (Na₂SiO₃) vermahlen. Durch diesen Mahlschritt wird ein „aktiviertes“ Zwischenprodukt hergestellt, das die Bestandteile des Zements in gleichmäßiger Verteilung enthält. Bei der Umsetzung mit Natronlauge bildet sich ein Produkt, das in seiner Struktur den Kalziumsilikat-Hydraten gleicht. Die Bildung der Zementpaste und das Abbinden mit Wasser laufen über eine komplexe Reaktionskaskade ab, deren Elementarschritte mit Hightechmethoden analytisch aufgeklärt werden konnten.
Während das Brennen des Kalks Temperaturen von 1.000 bis 1.500 Grad Celsius erfordert, läuft der Mahlschritt bei Raumtemperatur ab. Der mechanische Energieeintrag zur Mahlung konventionellen Zements beträgt mit 120 Kilowattstunden pro Tonne lediglich etwa 10 Prozent der Energie, die für den Brennprozess aufgebracht wird. Dies entspricht jedoch nur der Energieeinsparung – und dem damit verbundenen Ausstoß von CO2 – durch Verbrennung fossiler Brennstoffe bei der Zementherstellung. Viel wichtiger aber ist, dass durch Umgehung des Kalkbrennens im Idealfall CO2-Emissionen im Milliarden-Tonnen-Bereich umgangen werden könnten. Da das Mahlen ein Standardverfahren in der Zementindustrie ist, wäre die Umsetzung des Verfahrens vom Labormaßstab in industrielle Größenordnung denkbar.
Potenzielle Eignung für die großtechnische Herstellung
Die Mainzer Chemiker räumen allerdings ein, dass die Kosten- und Energieabschätzung lediglich grobe Näherungen sind und Laboruntersuchungen nicht mit einem industriellen Prozess verglichen werden können, bei dem Entwicklung, Design, Durchführbarkeit, Wartung und andere Parameter berücksichtigt werden müssen. Doch dafür sei viel Entwicklungsarbeit nötig. „Es kann sich hier um einen ersten Schritt für eine nicht-konventionelle Art der Zementherstellung, aber nicht die voll entwickelte Lösung handeln“, betont Erstautor Marcel Maslyk.
Ähnlich sehen dies auch Prof. Dr. Wolfgang Tremel und Dr. Ute Kolb von der JGU: „Das Verfahren ist potenziell geeignet, Zement für großtechnische Prozesse herzustellen“, so die beiden Gruppenleiter. „Eine Durchführung im technischen Maßstab würde aber viele Jahre benötigen und damit weder kurz- noch mittelfristig Abhilfe bei den CO2-Emissionen schaffen können.“