Dabei spielten auch die anstehende Bundestagswahl und der Fokus auf Klima- und Umweltthemen im laufenden Wahlkampf eine große Rolle. “Alle sprechen von Transformation. Und vor der Bundestagswahl sind sich alle einig, dass etwas passieren muss. Aber die Frage ist: Was? Für komplexe Fragen braucht es komplexe Antworten. Der Bierdeckel reicht da nicht. Daher haben wir uns gemeinsam mit unseren Partnern, unserem Beirat und unserem Ehrenamt Gedanken dazu gemacht”, sagte Tim Janßen, geschäftsführender Vorstand von C2C NGO zum Auftakt der Congress-Etappe.
“Wir müssen deutlich mehr machen, als nur von einer 1,5-Grad-Welt zu sprechen. Als Cradle to Cradle NGO wollen wir nicht nur die Probleme aufhalten, sondern zeigen, wie wir die Dinge ganz anders machen können. Daher haben wir die zehn wichtigsten Punkte für den Weg hin zu einer Circular Society nach Cradle to Cradle formuliert und sie der Politik als Chance für die kommenden Jahre bereitgestellt”, ergänzte Nora Sophie Griefahn, geschäftsführende Vorständin von C2C NGO.
Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die bereits zum zweiten Mal in Folge Schirmherrin des C2C Congress ist, stellte Cradle to Cradle als zukunftsfähigen Ansatz heraus: “Nachhaltiges Produktdesign ist ein entscheidender Ansatz, damit die Produkte von heute nicht der schnelle Abfall von morgen werden”, sagte sie in ihrem Grußwort.
Manuela Matz, Wirtschaftsdezernentin der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz bezeichnete Cradle to Cradle im Gespräch mit C2C NGO als “sehr wichtiges und zukunftsweisendes Thema”. Der Ansatz lege den Finger in die Wunde, da es unser aller Pflicht sei, Konzepte zu entwickeln, wie wir die Wirtschaft in andere Bahnen lenken können. In Mainz würden beispielsweise Textilien aus kompostierbaren Stoffen entwickelt. “Wir sehen auch in Mainz, dass viele sich nicht nur Gedanken machen, sondern auch gründen”, sagte Matz. Nachholbedarf sieht sie dabei noch beim Thema öffentliche Beschaffung. Hier müssten Parameter gesetzt werden, um auch den Einkauf der öffentlichen Hand zu einem Beschleuniger für die Transformation hin zu einer C2C-Ökonomie zu machen. Eine neue Landesverordnung solle nun dafür sorgen, dass Nachhaltigkeit in der kommunalen Beschaffung künftig eine größere Rolle spielt.
Auch Katrin Eder, Staatssekretärin im Umweltministerium Rheinland-Pfalz, war zugeschaltet. Das Bundesland habe sich die ambitioniertesten Klimaschutzziele in Deutschland gesetzt, sagte Eder. Die Abfallwirtschaft spiele dabei eine wichtige Rolle. Heutige Zahlen zu Recycling sehe sie kritisch, da sie nicht den Anteil von Materialien zeigten, der tatsächlich wiederverwertet werde. “In Entwicklungsländern kommt es zu schockierenden Umweltverschmutzungen”, so Eder über eine der Konsequenzen der heutigen Produktionsweise.
C2C-Lösungen für die Kunststoffbranche
Materialien, die in der Umwelt landen und dort Schäden anrichten, sind auch im Kontext der Kunststoffindustrie ein Dauerthema. Im ersten Diskussionspanel des Tages tauschten sich mit Dr. Anne Lamp, Co-Gründerin & CEO von Traceless, Michael Pooley, CEO von IFCO Systems sowie Reinhard Schneider, geschäftsführender Gesellschafter und Alleineigentümer von Werner & Mertz, drei Personen darüber aus, die sich alle mit einem alternativen Umgang mit dem Thema Kunststoffverpackungen beschäftigen.
“40 Prozent unseres Plastikmülls landen in der Umwelt”, sagte Lamp, die mit Traceless aus Reststoffen der Landwirtschaft eine biologisch abbaubare Kunststoff-Alternative herstellt. Grundstoffe für Verpackungsmaterialien für den biologischen Kreislauf seien sehr selten, so Lamp, was ihr als Motivation diente, einen solchen Stoff herzustellen. Vor wenigen Tagen kündigte Traceless eine Kooperation mit dem Versandhändler Otto an, woraus ab 2022 kompostierbare Verpackungslösungen für den Versand von Textilien entstehen sollen.
IFCO und Werner & Mertz haben ihre C2C-Geschäftsmodelle hingegen auf den technischen Kreislauf ausgerichtet. IFCO stellt sogenannte RPC-Container her, die den meisten Konsument*innen als jene grünen Kisten bekannt sind, in denen in Supermärkten Obst und Gemüse verkauft werden. 325 Millionen solcher Kisten hat IFCO weltweit im Umlauf. Die Kisten werden mit Lebensmitteln befüllt, nach dem Verkauf der Lebensmittel zurückgenommen, gewaschen und wieder zum gleichen Zweck eingesetzt. Die Rücknahme der Kisten, die aus Polypropylen (PP) bestehen, sei dabei elementarer Bestandteil des Geschäftsmodells. “Mehrweglösungen sind keine gute Lösung, wenn man Mehrwegprodukte nicht zurücknimmt. Für uns ist die Nachverfolgung unserer Kisten sehr wichtig, denn ohne die Rücknahme durch uns ist der Kreislauf nicht geschlossen. Das ist also ein riesiger ökonomischer und ökologischer Faktor in unserem Geschäftsmodell”, so Pooley.
Der Reinigungsmittelhersteller Werner & Mertz (Marke “Frosch”) stellt die Flaschen für seine Reinigungsmittel seit Jahren aus recyceltem Material her. Bei den PET-Flaschen des Unternehmens, die zu 100 Prozent aus Rezyklat bestehen, stammen heute bis zu 50 Prozent des Materials aus dem Gelben Sack, der Rest aus der PET-Flaschensammlung. “Unser Ziel ist es, einen perfekten Kreislauf zu schaffen. Wir möchten ein Vorbild für andere Sektoren sein, zum Beispiel für die Lebensmittelindustrie”, so Schneider. Er mahnte jedoch auch die Politik an, die dafür notwendigen fairen Wettbewerbsbedingungen zu setzen. “In Deutschland wird die Verarbeitung von Rohöl zu Kunststoff nach wie vor subventioniert. Das einzige Produkt, das man aus Rohöl herstellen kann, ohne eine einzige Steuer dafür abzutreten, ist Virgin Plastic. Das muss sich ändern”, sagte er. Beispielsweise, indem die europäische Plastiksteuer so eingeführt werde, dass Unternehmen nach dem Verursacherprinzip besteuert würden und die Nutzung von Rezyklat damit verrechnet werde.
Diese Forderung teilt auch Marcella Hansch, Gründerin & CEO von Everwave. Das Unternehmen entwickelt Technologien, um Plastik und andere Abfallstoffe aus Flüssen zu entfernen, noch bevor die Stoffe die Ozeane erreichen. “Das Ziel muss sein, dass zu 100 Prozent auf Virgin Plastic verzichtet wird. Recycling muss bezahlbar gemacht werden”, sagte Hansch in ihrer Keynote. Damit perspektivisch gar kein Plastik mehr in den Ozeanen lande, brauche es “Design for Recycling”. Heute fische Everwave beispielsweise viele Verbundstoffe aus Flüssen. Die seien nur schwer oder nicht recycelbar.
Ressourcen in Kreisläufe bringen
Auch im zweiten großen Panel des Tages wurden notwendige strukturelle Änderungen diskutiert, und zwar im Kontext von Ressourcenmanagement. Daran nahmen teil Dr. Matthias Eder, Kommunikationsleiter der PreZero Stiftung, die C2C-Expertin Katja Hansen, Peter Kurth, Geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft BDE sowie Jochen Moesslein, Gründer & Geschäftsführer von Polysecure, der ein System zur Markierung von Produkten und Rohstoffen entwickelt hat, das Stoffströme nachvollziehbar macht.
Kurth sprach sich deutlich für eine entschlossene Politik für Umwelt- und Ressourcenschutz aus. So müsse der Green Deal auch in Deutschland schnell umgesetzt werden. “Das Beispiel Plastik zeigt: der Kreislauf schließt sich nicht von selbst. Wer sagt, der Markt reguliert das selbt, irrt sich”, so Kurth. “Wir als Entsorger wollen gemeinsam mit der Industrie von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft gelangen”, ergänzte er. Gleichzeitig appellierte er an die produzierende Industrie und ihre Innovationskraft. “Je besser ein Produkt designt ist, desto besser gelingt das Recycling”, sagte er. Dabei tue es gut, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken und Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu verändert, mit allen daran Beteiligten.
Das versucht die Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl und Kaufland auch PreZero als ausgegründeter Entsorgungs- und Recyclingdienstleister gehört. Im vergangenen Jahr habe die Gruppe eigene Kunststoffprodukte auf den Markt gebracht, die zu 95 Prozent aus Rezyklat bestehen, in der kommenden Charge würden 100 Prozent angestrebt, so Eder. “Wir versuchen als Innovator und Vorbild der Branche zu agieren. Die Schließung eines echten Kreislaufs ist möglich, wenn man alle Beteiligten zusammenbringt”, sagte er.
Für Moesslein ist ein weiterer Hebel zur Kreislaufschließung eine deutlichere Definition von gewollten Inhaltsstoffen. Das, so sagte er, verbessere nicht nur die Sortierung sondern auch die Aufbereitung von Materialströmen. “Wir brauchen eine Sortierung wie die Briefsortierung. Genauso effizient könnte man den gelben Sack sortieren”, so Moesslein, der mit Polysecure dazu beitragen will, dies zu erreichen.
Ähnlich wie Moesslein sieht Hansen C2C Design als einen wichtigen Hebel für die Transformation der Kunststoffindustrie. Dazu gehöre auch ein Verzicht auf Additive, die die Recyclingfähigkeit von Materialien negativ beeinflussten. Gleichzeitig könne die Digitalisierung dabei helfen, Stoffströme in einen Kreislauf zu bringen. “Wir brauchen einen Mechanismus, beispielsweise ein Product Circularity Data Sheet, damit die Recycler wissen, welche Materialien in welcher Qualität auf sie zukommen”, so Hansen.
Alle vier Panelist*innen schlossen mit konkreten Forderungen an die kommende Bundesregierung ab. Während Peter Kurth ein Verbot von Deponien forderte, plädierte Moesslein dafür, die Herstellung von kreislauffähigen und positiven Produkte zu belohnen. Eder hofft, dass die Parteien es in Sachen Umwelt- und Klimapolitik nicht nur bei Floskeln im Wahlkampf belassen, sondern das Thema nach der Wahl im Wirtschaftsministerium ansiedeln, um Taten folgen zu lassen. Hansen möchte ein Belohnungssystem für innovative Unternehmen schaffen, die Cradle to Cradle umsetzen. Im Gegensatz zu einem Strafsystem würden so die Vorreiter einer zukunftsfähigen Wirtschaft belohnt.