“Wir müssen als Gesellschaft die Art und Weise wie wir produzieren und konsumieren komplett überdenken und zu einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft kommen, die beim Produktdesign beginnt. Cradle to Cradle kann diese Transformation vorantreiben. Wir haben heute von den Vertreter*innen aus der Politik und von Wirtschaftsverbänden gehört, dass es sich bei Ihnen fest eingeprägt hat, dass zirkuläre Innovationen ein guter und konkreter Weg nach vorne sind”, sagt die geschäftsführende Vorständin von Cradle to Cradle NGO, Nora Sophie Griefahn.
“Wir haben heute außerdem viele Best Practices aus Unternehmen gesehen, die Cradle to Cradle bereits umsetzen. Davon brauchen wir noch viel mehr! Wir freuen uns nach dem gelungenen Auftakt in Freiburg darauf, bei unseren kommenden Congress-Etappen im September und November viele weitere Beispiele dafür zu zeigen”, zieht der geschäftsführende Vorstand von Cradle to Cradle NGO, Tim Janßen, eine erste Zwischenbilanz.
Vor rund 250 Teilnehmenden vor Ort in der Messe Freiburg sowie im digitalen Stream diskutierten am Mittwoch Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft darüber, wie Cradle to Cradle skaliert werden und die Transformation hin zu einer klima- und ressourcenpositiven Wirtschaft und Gesellschaft beschleunigt werden kann.
“Gemeinsam verfolgen wir das Ziel, eine Wirtschaft zu stärken, die sich an der Idee des Kreislaufs orientiert. Wirtschaftliche Prozesse sollen nicht mehr vorwiegend linear verlaufen, sondern in Kreisläufen.”, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze in ihrem Grußwort. Sie übernahm zum zweiten Mal in Folge die Schirmherrschaft der Veranstaltung. Sie betonte, dass diese Transformation dringend notwendig sei und umgesetzt werden müsse, aber nicht zwangsläufig Verzicht bedeuten müsse. “Sie ist die Chance auf eine umweltgerechtere und auch sozialgerechtere Wirtschaft und Gesellschaft. Und ich weiß, dass diese positive Vision auch die Cradle to Cradle Congresse prägt. Und das finde ich wirklich klasse”, so Schulze.
“Wir können es uns gar nicht mehr erlauben, Rohstoffe zu verschwenden”, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter im Gespräch mit Cradle to Cradle NGO. Auch sie betonte, dass Klima-und Ressourcenkrise zusammenhängen und entsprechend nur gemeinsam gelöst werden können. “Deshalb sind wir jetzt gefragt, wie wir Wirtschaften. Das gilt sowohl für den Klima- als auch für den Ressourcenschutz”, sagte sie.
“Umwelt- und Klimaschutz sind die wichtigsten Themen unserer Zeit”, sagte auch Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn. Wenngleich Freiburg europaweit als eine der grünsten Städte gelte, dürfe sich die Stadt darauf nicht ausruhen und sei immer auf der Suche nach weiteren mutigen Ansätzen, zu denen er auch Cradle to Cradle zähle. Wichtig sei, dass nicht nur weiter über Transformation gesprochen, sondern diese auch auf allen Ebenen umgesetzt werde. “Es ist so viel Wissen vorhanden, aber es fehlt an der konkreten Umsetzung, um mehr Geschwindigkeit, um mehr Mut und an der Stelle an einer realitätsnahem Umsetzung”, so Horn.
Diese Umsetzung stand auch im Mittelpunkt des Diskussionspanels mit der Abteilungsleiterin Energie des DIW, Prof. Dr. Claudia Kemfert, dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführers des Industrieverbands BDI, Holger Lösch, dem Professor für Ressourcenstrategien und Gründer der Nachhaltigkeitsberatung SystemiQ, Prof. Dr. Martin Stuchtey, sowie der Grünen Europaabgeordneten Anna Cavazzini, die dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz vorsitzt.
Kemfert und Lösch betonten, dass sich die Industrie bewusst sei, dass sie auch im Eigeninteresse von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft kommen müsse. Noch befänden wir uns beim ersten Schritt, Emissionen zu vermeiden und zu senken, so Kemfert. “Im nächsten Schritt ist dann wichtig, dass man Rohstoffe von der Wiege zurück in die Wiege führt. Und dabei auch Unternehmen verpflichtet, diese Transparenz herzustellen”, sagte Claudia Kemfert weiter. Nur so kämen wir auf einen klimapositiven Pfad.
Dieser Pfad könne indes nicht nur durch kleinere Anpassungen erreicht werden, so Lösch. “Es geht um die Veränderung von Produktionsprozessen und Produkten. Wir müssen darüber nachdenken welchen Weg ein Produkt nimmt. Und dieser Weg sollte idealerweise möglichst kreisförmig verlaufen”, sagte BDI-Vize Holger Lösch. “Wir werden uns als Industrie auf diesem notwendigen Weg mit vielen Zielkonflikten beschäftigt müssen, aber da müssen wir durch”, fügte er hinzu.
Der langjährige Unternehmens- und Politikberater Prof. Dr. Martin Stuchtey bezeichnete es als positives Zeichen, dass sich die Industrie angesichts der Größe der Herausforderung mit Ansätzen wie Cradle to Cradle beschäftige und damit zu umfassenden Änderungen bereit sei. “Die Ernsthaftigkeit, mit der das Thema von Politik und auch Industrie aufgegriffen wird: Das hätte man vor einigen Jahren nicht erwartet”, sagte Martin Stuchtey. Und: “Nun müssen wir die systemischen Voraussetzungen für eine solch fundamentale Transformation schaffen.”
“Es ist gut, dass man auf regionaler Ebene und in Unternehmen schaut, wie man Cradle to Cradle und solche Konzepte umsetzen kann. Dazu braucht es aber auch eine starke europäische Gesetzgebung”, sagte die EU-Politikerin Anna Cavazzini. Der europäische Green Deal sei dafür ein gutes Instrument, stimmten alle vier Panelist*innen überein. Fest stehe auch, dass eine geschlossene Kreislaufwirtschaft die beim Design von Produkten und Prozessen beginne, Kern dieses Gesetzesvorhaben sei. Auch aus diesem Grund bringt sich Cradle to Cradle NGO als offizielle Partnerorganisation beim Projekt New European Bauhaus der EU-Kommission ein.
Über die konkrete Umsetzung von Cradle to Cradle und Circular Economy sprachen im zweiten großen Panel des Tages Thomas Fuhr, Co-CEO des Sanitärprodukteherstellers Grohe AG, Dr. Michael Karrer, Senior Vice President Sustainability & EHS beim Autozulieferer ZF Group, Arnaud Marquis, Group Sustainability Officer des Fußbodenherstellers Tarkett sowie Wilhelm Mauß, Geschäftsführer der Lorenz GmbH & Co, die Wasserzähler produziert.
Alle vier Unternehmen berücksichtigen bereits jetzt C2C in ihrer Wertschöpfung. Grohe hat C2C-zertifizierte Armaturen und Duschköpfe im Portfolio, bei ZF sind es Brems- und Kupplungsteile für Nutzfahrzeuge, bei Lorenz Wasserzähler und bei Tarkett und der Marke Desso unterschiedliche kreislauffähige Bodenbeläge. Alle vier Unternehmen haben konkrete Pläne, ihre Cradle to Cradle-Aktivitäten auszuweiten. “Wir stehen auf unserem C2C-Weg noch ganz am Anfang, aber wir haben begonnen”, so Grohe Co-CEO Thomas Fuhr. Das Unternehmen setze sich neben C2C auf Produktebene für branchenweite Rücknahmesysteme für kreislauffähige und vollständig wiederverwertbare Sanitärprodukte ein. Zudem sei bei Grohe eine Logistik für Produkt-Service-Modelle im Sanitärbereich in Arbeit.
Auch ZF will den Weg zu neuen Produkten und Geschäftsmodellen nicht alleine beschreiten. “Wir brauchen Kooperationen entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette, um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen”, so der Nachhaltigkeitsverantwortliche von ZF, Michael Karrer. Sich einem ganz neuen Umgang mit Ressourcen zu verweigern, sei dabei keine Option. “Die Autoindustrie befindet sich in einer grundlegenden Transformation. Es geht nicht mehr um die Frage, ob sie kommt, sondern darum, wie wir damit umgehen. Denn, wenn wir das nicht tun, wird das das Ende einiger Geschäftsmodelle bedeuten”, so Karrer. ZF arbeite derzeit an der rückstandslosen Rückgewinnung und Wiederaufbereitung von Kupfer aus Elektromotoren. Auch, um bei diesem immer seltener werdenden Rohstoff auf der sicheren Seite zu sein, da er im Zuge der Elektromobilität immer wichtiger werde.
Arnaud Marquis brachte das Thema Materialgesundheit in die Diskussion mit ein. Denn für Tarkett sei dieser Punkt ein Grund gewesen, das Geschäftsmodell auf Cradle to Cradle umzustellen. “Menschen nutzen unsere Fußböden. Und deswegen möchten wir Fußböden schaffen, die gut für diese Menschen und die Umwelt sind”, so Arnaud Marquis. Bis 2030 will das Unternehmen 30 Prozent seiner Teppich- und Holzböden aus den zurückgenommenen und recycelten eigenen Produkten herstellen. Heute liege die Quote bei 13 Prozent. So soll der Anteil an Primärressourcen immer weiter sinken.
Tarkett hat neben einem Rücknahmessystem auch eigene Recyclingstätten, in denen die unterschiedlichen Bestandteile von Bodenbelägen rückstandslos voneinander getrennt und zurück in den Produktionsprozess geführt werden. Auch für Wilhelm Mauß ist diese über das einzelne Produkt hinausgehende Transformation von Geschäftsmodellen das eigentliche Ziel, das er auch bei Lorenz verfolge. “Mein liebsten Geschäftsmodell sind Produkte als Service: Wir entwerfen neue Produkte für die Wiederverwertung. Und wir möchten, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus an uns zurück gegeben werden. Wir müssen in Modulen denken, um die Produkte einfach wiederverwertbar zu machen”.
Eine internationale Perspektive brachte zudem Mansoor Bilal ein, Vice President Marketing, Reserach & Innovation beim pakistanischen Textilhersteller Soorty. Soorty ist das weltweit einzige Unternehmen mit einer komplett nach C2C zertifizierten Denim-Produktpalette vom Garn über das Gewebe bis hin zu fertigen Kleidungsstücken. Soorty habe 2018 damit begonnen, das eigene Geschäftsmodell ganz neu zu definieren, um in der Textilindustrie einen Unterschied zu machen. “Wir haben in allen Teilen des Geschäfts angesetzt. Es ging uns nicht nur um eine andere Art der Produktion, sondern um einen umfassenden Ansatz”, sagte Bilal. So habe Soorty ein neues Wassermanagement eingeführt und chemische Abfälle drastisch reduziert.
In drei interaktiven Foren konnten sich am Nachmittag auch die digital Teilnehmenden in die Diskussion vor Ort in Freiburg einbringen. In einem vom Deutschen Institut für Normung (DIN) ausgerichteten Forum zum Thema zirkuläre Bauwirtschaft wies DIN-Präsident Dr. Albert Dürr auf den enormen Ressourcenverbrauch der Bauindustrie hin. Um die Ressourcen im Kreislauf führen zu können brauche es Transparenz bei der Verwendung, auch von Sekundärrohstoffen und bei Verbauverfahren. Digitale Produktpässe, in denen Materialqualität und Wertschöpfungsketten sowie Prozesse festgehalten werden können, seien dafür ein gutes Instrument. Dabei sei es unerlässlich, für Produkte und Prozesse Qualitätsstandards festzulegen. “Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Normen und Standards von DIN und Cradle to Cradle einen wesentlichen Beitrag bei der Transformation zu einer zirkulären Bauwirtschaft leisten werden”, so Dürr.
Moderiert durch Benjamin Hein, Leiter der Geschäftsfeldentwicklung Circular Economy bei DIN, diskutierten Lars Baumgürtel, CEO des Metallverarbeiters ZINQ, Dr. Patrick Bergmann, Geschäftsführer des Building Information Modeling-Anbieters Madaster, Dr. Anna Braune, Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung bei der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) und der Architekt und Gesellschafter von HPP Architekten, Antonino Vultaggio, weiter über das Thema. Die DGNB befinde sich gerade im Anerkennungsprozess, um Cradle to Cradle als Qualitätskriterium in ihre Gebäudezertifizierung aufzunehmen, so Braune.
Im zweiten Forum diskutierten Prof. Dr. Iris Belle, Leading Consultant Smart City Solutions beim Immobilienunternehmen Drees & Sommer, Ashleigh McLennan, Sustainable Economy and Procurement Officer beim ICLEI European Secretariat und Dr. Klaus von Zahn, Leiter des Umweltschutzamtes Freiburg darüber, wie Cradle to Cradle als Bestandteil von urbanen Entwicklungsprozessen zu nachhaltigen und resilienten Quartieren und Regionen führen kann. Moderiert wurde das Panel von Gerald Babel-Sutter, CEO der Urban Future Global Conference sowie Lorena Zangl, die bei Cradle to Cradle NGO als Referentin Kommunale Entwicklung unter anderem das Netzwerk C2C Regionen betreut.
Im dritten Forum sprachen Marcel Gröpler, Leiter der Fachabteilung Green Building der Lindner Group und Stephan Ketterer, Leiter des Business Development bei der Deutschen Lichtmiete Vermietgesellschaft über innovative Produkt-Service-Modelle und wie diese in einer zirkulären Wirtschaft dazu beitragen können, Rohstoffkreisläufe vollständig zu schließen.
Ich finde, solche Kongresse sollte es häufiger geben bzw. wäre es wünschenswerter, wenn sich Unternehmen öfters untereinander austauschen können und sich auch beraten können. Das spielt gerade beim Umwelt- und Klimaschutz eine wichtige Rolle. Denn da müssen wir ohnehin alle an einem Strang ziehen. Da braucht es zudem innovative Konzepte und eine einfache Umsetzung, um eine schnelle Verbesserung zu erzielen. So wie zum Beispiel die Umrüstung von Unternehmen auf LED-Licht von der Deutschen Lichtmiete, was dabei beiträgt, sofort die Stromkosten zu reduzieren… und das ganz ohne Investitionen. Mithilfe solcher Angebote könnte man Unternehmen noch rascher klimafreundlicher machen.