Ist die Achterbahnfahrt des Altpapiermarkts zu Ende?

Fragen rund um den Altpapiermarkt diskutierten rd. 70 Teilnehmer online unter der Leitung von Sieglinde Groß, Fehr Umwelt Ost GmbH, Vorstandsmitglied DGAW, mit Experten aus Wirtschaft, Industrie und Wissenschaft.
Foto: Joujou; pixelio.de

Einführend umriss Sieglinde Groß die aktuellen Herausforderungen auf dem Altpapiermarkt. Große Schwankungen bei Mengen und Preisen in den letzten Jahren und Monaten lassen die Bezeichnung „Achterbahnfahrt“ zu. Der Papierbedarf und in Folge der Altpapiermarkt unterliegt einem Wandel (papierloses Büro, e-books, verändertes Leseverhalten, e-comerce), der zusätzlich durch Faktoren wie: Wirtschaftswachstum, Bevölkerungswachstum, Welthandel und Frachtpreise, Preise für Primärrohstoff Holz, Spekulation und/oder Corona beeinflusst wird.
Corona bedingt sind die Altpapiermengen durchschnittlich um 6,5% gestiegen. Grund dürften die vermehrten Online-Bestellungen und die To-go-Verpackungen sein. Mit einer Rücklaufquote von 75% und einer Recyclingquote von 78% in Deutschland wird für den Stoffstrom Altpapier in Deutschland ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft geleistet.

Peter Fischer, Leiter Einkauf Altpapier, Progroup AG, stellte die „Entwicklungen der internationalen Altpapier-Stoffströme“ dar. 
Gab es in der Zeit vor Corona eine regelrechte Altpapier-Schwemme mit der Folge stark sinkender Preise, so sorgte die Pandemie für eine völlig veränderte Situation mit Rekordnachfragen im Bereich Packaging und Versandhandel. In Deutschland stehen ca. 17 Mio. t Altpapier zur Verfügung, der weltweite Altpapieranfall beträgt 250 Mio. t, wobei der größte Anteil in Asien, gefolgt von Europa und Nord-Amerika gesammelt wird. Beim weltweiten Import von Altpapier gibt es starke Veränderungen. China reduzierte seine Importmengen von 25 Mio. t im Jahr 2017 auf 0 t im Jahr 2021. Indien ist dagegen ein bedeutsamer Netto-Importeur; einem immens hohen Verbrauch, steht ein geringes Altpapier-Aufkommen gegenüber.
Als Nettoexporteure, somit also Altpapier-Quellen für den Weltmarkt gelten vor allem die USA. Weitere Export-Länder sind das Vereinigte Königreich, Japan, Deutschland und die Niederlande. Wobei Deutschland sich mit ca. 2 Mio t/a in den letzten Jahren zum Nettiomporteur von Altpapier entwickelt hat.

Fischer zeigte weiter auf, dass große Potentiale an nicht erfasstem Altpapier, und damit zur Steigerung der Rücklaufquoten vor allem in Asien und Europa! gesehen werden (Indien, Indonesien, Polen, Tschechien, China, Italien, Thailand). Die Bedeutung der Tigerstaaten als Nachfrager wird steigen. Umweltaspekte werden auch in diesen Staaten eine immer größere Rolle spielen, was eine Verschärfung von Importregularien zur Folge haben wird

Zur Sicherung des Bedarfs der Papierindustrie Deutschlands wird es aus Sicht von Fischer u.a. wichtig sein, das wirtschaftliche Gleichgewicht nach der Corona-Krise wieder herzustellen, ggf. die Netto-Importmengen zu erhöhen und/oder Exportmengen aus Europa zu verringern. Weiterhin könnten Potentiale in der Erhöhung von Rücklaufquoten diverser Staaten, auch innerhalb EU, stecken. Interessant ist auch der wachsende Bereich der „Alternativen Fasern“.

Klaus Große, Projekt Einkauf, Julius Schulte Trebsen GmbH & Co. KG beleuchtete aus Industriesicht den „Einsatz von Altpapier im Herstellungsprozess“. Er zeigte den kontinuierlichen und starken Anstieg beim Verpackungspapier in den vergangenen 10 Jahren auf und beschrieb ein Gap von ca. 2 Mio. t im Altpapier-Bereich. Das deutschlandweite Aufkommen reicht somit nicht aus, um den derzeitigen Altpapier-Bedarf zu decken. Gleichzeitig unterliegen die Preise, vor allem im Verpackungsbereich, enormen Schwankungen. So stieg der Preis hier seit März 2020 um das Vierfache.

Altpapier, als sehr wichtiger Rohstoff, besteht zu 2/3 aus Verpackungen und zu 1/3 aus Rückläufen der graphischen Industrie. Wenn also die Menge graphischen Altpapieres sinkt, hat dies Veränderungen in der Zusammensetzung der Altpapier-Sammelware (Verhältnis braun zu weiß) und damit auch eine Qualitätsveränderung zur Folge.

Der Markt wird nicht nur durch die Tatsache, dass Corona bedingt der Altpapierbedarf zurzeit steigt, belastet. Auch der Brexit, mit Zollabwicklung und zusätzlichen Aufwendungen und Kosten, ist ein Hemmnis.

Aus wissenschaftlicher Sicht hat sich Prof. Dr. habil. Christina Dornack, TU Dresden Fakultät Umweltwissenschaften, Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft mit den „Verwertungswege von Papierreststoffen/Faserschlämme in Deutschland“ aus der Altpapieraufbereitung auseinandergesetzt. Sie erläuterte, dass in 140 Papierfabriken in 8 Abfallarten ca. 3,5 Millionen t Rückstände anfallen. Davon werden 60% intern oder extern thermisch entsorgt, der Rest überwiegend in der Ziegel- und Zementindustrie verwertet.

Große Papierfabriken besitzen häufig eigene (EBS-)Kraftwerke, aber das Interesse an weiteren günstigen (thermischen) Entsorgungskapazitäten ist groß, denn die Mitverbrennung in Kohlekraftwerken hat in den letzten 3 Jahren um 600.000 t abgenommen. Für über eine halbe Mio. t Papierrückstände musste bzw. muss Entsorgungskapazität gefunden werden (Tendenz steigend).

Die Entsorgungskosten steigen mit den knappen frei verfügbaren externen thermischen Kapazitäten. Im Ergebnis werden auch alternative Verwertungsverfahren (z.B. Niedertemperaturpyrolyse, Lävulinsäureherstellung, Co-Vergärung) die entstehende Kapazitätslücke in den nächsten 10 Jahren nur in geringem Umfang schließen können.

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