Mit der Pilotanlage Carbontrans will das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle (Saale) einen wichtigen Beitrag zu einer emissionsarmen Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft leisten. Kohlenstoffträger werden dabei nicht verfeuert, sondern stofflich genutzt. Für die Plattform, die nach einer Planungsphase ab 2021 errichtet wird, sollen bis zu 30 Millionen Euro investiert werden. Das Kabinett hat auf Vorschlag des Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung beschlossen, für die Errichtung der neuartigen Pilotanlage Carbontrans in Leuna (Saalekreis) bis 2024 15 Millionen Euro einzuplanen. Weitere 15 Millionen Euro sollen auf Wunsch des Landes aus Bundesmitteln beigesteuert werden.
Synthesegase, die hauptsächlich aus Wasserstoff und Kohlenstoffmonoxid bestehen, sind ein bedeutender Ausgangsstoff für die chemische Industrie. Sie werden derzeit meist auf Basis von Erdöl hergestellt, so das Institut. In der Pilotanlage in Leuna sollen stattdessen andere Kohlenstoffträger genutzt werden, beispielsweise kohlenstoffhaltige Abfälle wie Plastikmüll oder Reste der Biomasse-Nutzung. Diese werden nicht wie bisher verbrannt, sondern zusammen mit Kohle vergast – aus Abfall entsteht so ein wertvoller Rohstoff für die chemische Industrie, heißt es weiter.
Kern der Konversionstechnik ist laut IMWS ein Reaktor, in dem die Ausgangsstoffe mit Sauerstoff und Wasserdampf unter Wärmeentwicklung bei Temperaturen von 1.000 °C und darüber behandelt werden. Durch das Hinzufügen von Wasserstoff kann nach weiterer Aufbereitung und Aufreinigung ein Synthesegas gewonnen werden, das nahezu vollständig in Syntheseprodukte umgewandelt wird. Die Versorgung mit Wasserstoff und Sauerstoff erfolgt durch die derzeit ebenfalls in Leuna entstehende Elektrolyseplattform: Dort werden diese Elemente mittels Elektrolyse unter Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt.
„Mit der Pilotanlage kann es gelingen, eine von Erdöl und Erdgas weitgehend unabhängige Rohstoffbasis für die energieintensive chemische Industrie in unserem Land zu erschließen. Gleichzeitig schaffen wir eine Möglichkeit, die in der Region vorhandene Braunkohle wertschöpfend und klimafreundlich zu nutzen. Die Anlage kann damit einen zentralen Beitrag leisten, um den Strukturwandel in Mitteldeutschland erfolgreich zu gestalten“, sagt Prof. Dr. Armin Willingmann, Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt.
„Was die Pilotanlage leistet, ist letztlich chemisches Recycling: Kohlenstoff wird nicht verbrannt, um dann als CO2 die Umwelt zu belasten, sondern für andere Stoffverbindungen genutzt. Damit bahnen wir den Weg für den Übergang von einer linearen Kohlenstoffwirtschaft, die mit der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Produkte unter CO2-Freisetzung endet, zu einer weitgehend CO2-neutralen Kohlenstoff-Kreislaufwirtschaft“, sagt Prof. Dr. Bernd Meyer, Direktor des Instituts für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen IEC an der TU Bergakademie Freiberg und Leiter des Geschäftsfelds „Chemische Umwandlungsprozesse“ am Fraunhofer IMWS. „Das heißt beispielsweise: Ein Kunststoffprodukt, das in Leuna hergestellt wird, kann am Ende seines Lebenszyklus wieder Ausgangsmaterial für neue Produkte sein“, ergänzt Meyer. Unter seiner Leitung werden Planung und Betrieb des Projekts im Rahmen des vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Fraunhofer-Leistungszentrums Chemie- und Biosystemtechnik koordiniert, an dem unter anderem die Hochschule Merseburg, das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna sowie die Unternehmen Mibrag, Romonta, InfraLeuna und RWE Power beteiligt sind.
Die Carbontrans-Pilotanlage soll jährlich 25.000 Tonnen kohlenstoffhaltiger Stoffe verarbeiten können. Die entstehenden Synthesegase können direkt im Chemiepark Leuna beispielsweise für die Erzeugung von Methanol genutzt werden, so das IMWS. Über Fermentation können auch Ethanol, Aceton, organische Säuren oder andere Verbindungen für biotechnologische Anwendungen entstehen.
Vorgesehen ist zunächst eine Planungsphase (2019–2021), in der die technische Machbarkeit und die Genehmigungsfähigkeit genau geprüft und die Kosten prognostiziert werden. Dazu soll in Freiberg ein Forschungsreaktor entstehen, der die nötigen Daten zum Betrieb liefert. Die größte Herausforderung besteht darin, aus den heterogenen Abfällen unter Zumischung von Trockenbraunkohle ein hochwertiges Synthesegas zu erzeugen. Die bisher für Kohle zur Verfügung stehende Anlagentechnik muss grundlegend überarbeitet werden, um der Heterogenität der Einsatzstoff-Gemische und höchsten Umweltschutz-Standards einschließlich minimaler CO2-Emissionen gerecht zu werden. In Freiberg soll nachgewiesen werden, dass ein qualitatives hochwertiges Synthesegas entsteht und der effiziente und stabile Dauerbetrieb mit minimalen CO2-Emissionen des Vergasungsreaktors möglich ist. Bei einem erfolgreichen Abschluss der Planungsphase erfolgt die Umsetzungsphase bis 2024. Dazu wird der Reaktor aus Freiberg abtransportiert und in die bis dahin fertiggestellte Infrastruktur in Leuna eingesetzt; zudem wird die Technologieplattform dann vollständig in den Stoff- und Energieverbund des Chemieparks integriert.
„Mit dem Betrieb der Pilotanlage in Leuna möchten wir nachweisen, dass der wirtschaftliche, CO2-neutrale und nachhaltige Einsatz von unterschiedlichen regionalen Kohlenstoffträgern im Rahmen einer Kohlenstoffkreislaufwirtschaft für die Chemieindustrie im Rahmen von Chemie 4.0 möglich ist“, sagt Prof. Dr. Ralf B. Wehrspohn, Leiter des Fraunhofer IMWS. Im Erfolgsfall soll die Plattform in den industriellen Maßstab hochskaliert werden. „Sachsen-Anhalt ist als Standort für die Pilotanlage ideal. Wir sehen eine große Nachfrage für diese Technologie auch in anderen Regionen, und zwar weltweit“, sagt Wehrspohn.