Der Bundesregierung wird in dem Gutachten entgegengehalten, ihre Einschätzung, dass durch die Beschränkung der gewerblichen Sammlungen dem Bürger „ein wichtiges Serviceangebot“ vorenthalten würde, stehe im Widerspruch zu den andernorts im Gesetzentwurf vorgesehenen Verpflichtungen der Kommunen. „Es ist widersinnig, die Kommunen auf ein ordnungsgemäßes, schadloses und hochwertiges Recycling zu verpflichten, gleichzeitig aber private Serviceangebote für erforderlich zu erachten“, erklärt Thomas Grundmann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Stoffspezifische Abfallbehandlung (ASA). Die ASA und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) haben das GGSC-Gutachten in Auftrag gegeben.
Deshalb sei es auch nicht gerechtfertigt, wie die Bundesregierung davon auszugehen, gewerbliche Sammlungen müssten erlaubt sein, wenn die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE) wie beispielsweise im Altpapiersegment keine Entsorgungsleistungen anbieten würden. „Die angemessene Reaktion auf unzureichende kommunale Erfassungstätigkeiten“, so Rechtsanwalt Hartmut Gaßner von [GGSC], „wäre allein der Vollzug des Gesetzes, nicht hingegen die Zulassung gewerblicher Sammlungen.“
Die Forderung des Bundesrats nach weitgehender Beibehaltung des bisherigen Sammlungsbegriffs stellt in den Augen der Berliner Juristen eine zulässige Anknüpfung an das Sammlungsbild des historischen Gesetzgebers dar. Es sei deshalb auch nicht als verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung auf den Bestand bereits praktizierter privater Sammlungssystem einzuordnen. „Der Sammlungsbegriff des Bundesrats“, so Rechtsanwalt Hartmut Gaßner, „schafft keine neue Rechtslage, sondern übernimmt lediglich die Konkretisierung des bestehenden Sammlungsbegriffs durch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Altpapier-Urteil vom 18. Juni 2009.“
Das neue Gutachten zeigt auch die europarechtliche Zulässigkeit der Forderung des Bundesrats nach Streichung der von der Bundesregierung vorgelegten Abwägungsklausel in Paragraf 17 Absatz 3 des KrWG-E auf. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erlaube es den Mitgliedstaaten, eine gewerbliche Sammlung bereits dann für unzulässig zu halten, wenn diese „mehr als nur geringfügige Auswirkungen“ auf die Organisation und Planungssicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers entfalten.
Hierzu heißt es im Gutachten zur Rechtsprechung des EuGH (S. 11): „Der Verpflichtung, auch unrentable Leistungen im öffentlichen Interesse flächendeckend und zu jeder Zeit zu erbringen, entspricht danach das Recht, die rentablen Leistungen zum Zwecke interner Quersubventionierung und zur Gewährleistung einer wirtschaftlich ausgewogenen Aufgabenerfüllung dem privaten Wettbewerb vorzuenthalten. Eine gewerbliche Sammlung, die mehr als nur geringfügige Auswirkungen auf die Organisation und Planungssicherheit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers entfaltet, ist regelmäßig eine solche, die den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger aus lukrativen Tätigkeitsbereichen verdrängt und ihm Wertstofferlöse in einer signifikanten Größenordnung entzieht.“
Es muss nach EU-Recht nicht darauf abgestellt werden, so GGSC, dass die Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung durch eine gewerbliche Sammlung in Frage steht. ASA-Vorsitzender Grundmann: „Wer die Funktionsfähigkeit zum Zulässigkeitsmaßstab machen will, der muss auch die Verantwortung für unabweisbare Gebührenerhöhungen übernehmen.“
Aufstellung der für die örE besonders nachteiligen OVG-Urteile
Auf Bitten der beiden Verbände enthalte das Gutachten auch eine Aufstellung der für die örE besonders nachteiligen OVG-Urteile, die vor der Rechtsprechung des BVG verkündet wurden. Diese Urteile hatten gewerbliche Sammlungen zugelassen, auch wenn sich durch diese Gebührenerhöhungen von über 13 Euro pro Jahr (bezogen auf einen Ein-Personen-Haushalt) ergäben hätten. Diese Rechtsprechung, der erst das Bundesverwaltungsgericht entgegengetreten sei, habe drohende oder nachgewiesene Gebührenerhöhungen nicht für relevant erachtet. Nach dieser Rechtsprechung gelte: „Im geltenden System sei streng genommen eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Abfallentsorgung durch gebührenrechtliche Erwägungen nicht denkbar, da Benutzungsgebühren kostendeckend zu kalkulieren seien, so dass mangels einer nach geltendem Recht insoweit bestehenden Verknüpfung zwischen Abfallrecht und Abfallgebührenrecht die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers grundsätzlich gewährleistet sei“ (Nachweise im Gutachten, S. 30/31).
Patrick Hasenkamp, Vorsitzender der Landesgruppe der Sparte Abfallwirtschaft und Stadtreinigung (VKS) im Verband kommunaler Unternehmen (VKU): „Das Ausblenden von Gebührenerhöhungen darf nicht neuerlich Anknüpfungspunkte im KrWG finden, deshalb ist dem Streichungsvorschlag des Bundesrats zu folgen und dem Vorgehen der Bundesregierung entgegenzutreten.“
Das Gutachten tritt auch der Interpretation der Mitteilung der EU-Kommission vom 29. Juni 2011 durch die Bundesregierung entgegen: Die Kommissionsmitteilung knüpft an das Liberalisierungskonzept der Bundesregierung an, liefere für dieses jedoch keine Argumente (s. S. 12 im Gutachten).
Schließlich wird aufgezeigt, dass das Vorhaben der Bundesregierung, gewerbliche und kommunale Sammlungen in Wettbewerb zueinander zu stellen, bei den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern notwendig dazu führen werde, an die Stelle der hoheitlichen Aufgabenerledigung Betriebe gewerblicher Art treten lassen zu müssen. Rechtsanwalt Gaßner: „Was die private Entsorgungswirtschaft seit langem vergeblich gefordert hat, will die Bundesregierung durch die „kalte Küche“ einführen: Die steuerliche Gleichbehandlung von privaten Entsorgungsunternehmen und kommunalen Aufgabenträgern.“