Herr Mundt, der Referentenentwurf zur Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) liegt vor. Sind Sie aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zufrieden?
Erfreulich ist, dass das Bundesumweltministerium (BMU) im Referentenentwurf der Forderung des Bundeskartellamtes nach Vermeidung von Interessenkonflikten bei der abfallbehördlichen Überwachung nachgekommen ist. Der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger soll künftig nicht mehr für die Überwachung seiner direkten Wettbewerber zuständig sein. Kritisch sehen wir aber nach wie vor verbindliche Anlagenzuweisungen, die den Wettbewerb zwischen Beseitigungsanlagen vollständig ausschließen können. Bei den Überlassungspflichten für Hausmüll besteht die Gefahr, dass die Gerichte eine auslegungsbedürftige Neuregelung wieder als faktisches Monopolrecht der Kommunen interpretieren.
Die Wirtschaft sieht die Abfälle privater Haushalte immer mehr als Rohstoffe. Ist es noch zeitgemäß, dass die privaten Haushalte den Hausmüll den Kommunen überlassen müssen?
Da muss man zwei Aspekte trennen. Es ist weiterhin richtig, dass es für Hausmüll eine Überlassungspflicht im Sinne eines Zwangs zur ordnungsgemäßen Entsorgung gibt, damit nicht einzelne Bürger ihre Abfälle wild entsorgen. Es ist aber jedenfalls heute nicht mehr gerechtfertigt, dass die Kommune ein Monopolrecht auf die Hausmüllentsorgung hat. Wir plädieren daher nicht für einen Wegfall der Überlassungspflichten, sondern für deren wettbewerbskonforme Ausgestaltung. Jahre nach der Liberalisierung von bedeutenden Wirtschaftsbereichen sind Monopole für die Hausmüllentsorgung nicht mehr zeitgemäß.
Was sind die Vorteile des Wettbewerbs?
Wettbewerb bringt Innovationen hervor. Aufgrund des Wettbewerbsdrucks passen Unternehmen ihr Angebot laufend an die Bedürfnisse der Kunden an. Wettbewerb führt zu Vielfalt und Wahlfreiheit für die Kunden. Und nicht zuletzt führt Wettbewerb zu niedrigeren Preisen. Wenn man heutige Angebote im Flugverkehr oder in der Telekommunikation mit Monopolzeiten vergleicht, sieht man den enormen Unterschied.
Das BMU argumentiert, dass der Gesetzgeber den Kommunen das Recht auf diese Abfälle nicht nehmen kann, ohne in die „Gemeindliche Selbstverwaltung“ einzugreifen. Muss das Grundgesetz geändert werden?
Nein, eine Grundgesetzänderung war auch bei der Liberalisierung der kommunalen Energieversorgung nicht nötig. Keiner will den kommunalen Betrieben verbieten, weiterhin abfallwirtschaftlich tätig zu bleiben. Die Hausmüllentsorgung kann wettbewerblich ausgestaltet werden, ohne das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen auszuhöhlen. Die von kommunaler Seite angeführte Rastede-Entscheidung betrifft einen völlig anderen Sachverhalt aus dem Jahr 1973. Damals wurde der klagenden Gemeinde die Zuständigkeit für die Hausmüllentsorgung zu Gunsten des Landkreises entzogen. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Abfallbeseitigung im engeren Sinne aus dem Schutzbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung herausgewachsen war.
Käme es zu einer Liberalisierung der Hausmüllentsorgung, befürchtet das Bundesumweltministerium, dass es zu einem unkontrollierten „Häuserkampf“ um die lukrativen Tonnen kommt. Wäre dies aus volkswirtschaftlicher Sicht unterm Strich nicht teurer als die Beibehaltung der Überlassungspflicht?
Nein, im Gegenteil! Entscheidend ist vielmehr, dass eine wettbewerbliche Hausmüllentsorgung volkswirtschaftlich wesentlich günstiger wäre, weil die Anbieter dann aufgrund des Wettbewerbsdrucks mehr Rationalisierungsanstrengungen unternehmen. Im Übrigen wäre es auch aus Umweltsicht wünschenswert, dass sich für „lukrative Tonnen“ positive Preise bilden, da dann Anreize zu besserer Abfalltrennung und vermehrtem Recycling entstehen. Unterm Strich profitieren davon die Verbraucher und die Umwelt.
Wie wollen Sie denn für mehr Wettbewerb sorgen?
Für die Einführung von Wettbewerb gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Bürger können zwischen kommunalen und privaten Anbietern wählen, oder die Kommune wird zur Ausschreibung der Entsorgungsdienstleistungen verpflichtet. Mit beiden Varianten wurden im europäischen Ausland positive Erfahrungen gesammelt.
Dennoch wird von kommunaler Seite immer wieder davor gewarnt, dass bei einem Wegfall der Überlassungspflicht die Entsorgungssicherheit gefährdet ist. Ist dies berechtigt?
Bei einem etwaigen Ausfall eines Anbieters stehen genügend private und kommunale Entsorgungsbetriebe zur Verfügung, die die Dienstleistung gerne kurzfristig übernehmen würden. Notstandsszenarien wurden von interessierter Seite auch vor der Liberalisierung anderer ehemaliger Monopolbereiche gezeichnet. Nichts davon ist eingetreten.
Aber was ist mit der Entsorgungssicherheit in ländlichen Regionen, wo die Abfuhr der Tonnen teurer ist?
Auch dort gibt es genügend Anbieter, die im Zweifelsfall einspringen könnten. Übrigens gibt es keine empirischen Belege dafür, dass die Entsorgung auf dem Land tatsächlich teurer ist.
Und wie wollen Sie vermeiden, dass die Kommune – sprich der Gebührenzahler – einspringt, wenn ein privates Entsorgungsunternehmen in Konkurs geht?
Um das zu vermeiden, könnte eine Hinterlegung von Sicherheitsleistungen vorgesehen werden. Das ist auch in anderen Bereichen der Entsorgungswirtschaft üblich. Die Hinterlegung von Sicherheitsleistungen entfaltet zugleich eine Vorfeldwirkung, damit solche Insolvenzen in der Praxis möglichst selten vorkommen.
Also bleibt den Kommunen nur noch eine Auffangfunktion. Sie müssten Entsorgungskapazitäten vorhalten, um das zu entsorgen, was die privaten Unternehmen nicht haben wollen. Wie wollen Sie den Kommunen dennoch ein Mindestmaß an Investitionssicherheit geben?
Wir sind keineswegs dafür, die kommunalen Abfallbetriebe auf eine Auffangfunktion zu reduzieren. Und ein Vorhalten von Leerkapazitäten ist angesichts der hoch entwickelten deutschen Entsorgungswirtschaft nicht nötig. Der Aspekt der Investitionssicherheit spielt bei Einführung einer Ausschreibungspflicht eine Rolle. Im Einzelfall wären kommunale Abfallbehandlungsanlagen möglicherweise nicht sofort wettbewerbsfähig, so dass ohne Übergangsfrist die kommunalen Haushalte belastet werden könnten. Als Übergangsregelung könnte daher vorgesehen werden, dass die Ausschreibungsverpflichtung erst dann greift, wenn die betreffende kommunale Abfallbehandlungsanlage vollständig abgeschrieben ist.
Ein weiterer wettbewerbspolitischer Problemfall ist die Entsorgung von Verpackungsabfällen aus privaten Haushalten. Hierauf haben nur die Betreiber dualer Systeme Zugriff. Herrscht in diesem Bereich ausreichend Wettbewerb?
Es gab in diesem Bereich in den vergangenen Jahren bedeutende wettbewerbliche Fortschritte. Die Kosten der Entsorgung von Verpackungen aus privaten Haushalten sind bundesweit innerhalb weniger Jahre von über zwei Milliarden Euro auf unter eine Milliarde Euro gefallen. Aber es gibt aus wettbewerblicher Sicht trotzdem noch Verbesserungspotenzial. Problematisch ist insbesondere, dass eine Koordinierung der Erfassungsausschreibungen immer noch nicht stattfindet.
Wie beurteilt das Kartellamt vertikal integrierte duale Systeme? Also Systeme, die einen eigenen Entsorger mit an Bord haben.
Dass ein operativer Entsorger auch ein duales System betreibt, ist für sich genommen wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Natürlich berücksichtigen wir die vertikale Integration in der Beurteilung einzelner Fälle.
Der Gesetzgeber fordert, dass die dualen Systembetreiber der Gemeinsamen Stelle beitreten. Wie soll ausgerechnet ein Zwangskartell für Wettbewerb sorgen?
In der Tat kann man von Anbietern kaum erwarten, dass sie in einem Verband Entscheidungen treffen, die für einen möglichst starken Wettbewerb unter ihnen sorgen. Dies ist einer der Gründe, warum es besser wäre, die Aufgaben der Gemeinsamen Stelle nicht bei den Unternehmen, sondern etwa bei einer Behörde anzusiedeln.
Es sah vor kurzem so aus, als ob die Gemeinsame Stelle nach Jahren endlich einen Vorschlag für die Ausschreibung von Verpackungsabfällen gefunden hat, den das Kartellamt auch anerkennt. Nun fordert Eko Punkt, dass eine neutrale Stelle ausschreibt. Warum lehnt das Kartellamt eine derartige Lösung ab?
Bei der Koordinierung der Erfassungsausschreibungen geht es darum, Anreize zur Rationalisierung der Sammelsysteme zu schaffen, damit die Erfassungskosten langfristig sinken. Die Erfassungskosten sind ein großer Kostenblock, für den es noch keinen hinreichenden Wettbewerbsdruck gibt. Logische Folge ist, dass in einigen Regionen unnötig teure und ökologisch unbefriedigende Sammelsysteme nicht verbessert werden. Wenn die dualen Systeme die Erfassungskosten in Folge einer Ausschreibung durch eine „neutrale Stelle“ vergemeinschaften, werden Rationalisierungsanreize aber weitestgehend eliminiert.
Wie soll es jetzt weitergehen? Macht das Kartellamt in den kommenden Monaten einen eigenen Vorschlag?
Es ist Aufgabe der dualen Systeme, ein Ausschreibungsmodell auszuarbeiten, das den kartellrechtlichen Anforderungen genügt. Die Eckpunkte im Rahmen eines Mitbenutzungsmodells sind: periodische Verlosung der Ausschreibungsführerschaften, keine ausschreibungsfreie „In-House-Vergabe“ und keine Beseitigung von Anreizen zur Rationalisierung der Erfassungskosten. Das haben wir allen dualen Systemen bereits vor zwei Jahren mitgeteilt.
Werden Sie die alleinige Ausschreibung durch DSD dulden, bis eine sechste Novelle der Verpackungsverordnung kommt?
Den dualen Systemen ist klar, dass der Status quo aus Sicht des Bundeskartellamtes wettbewerbsrechtlich bedenklich ist. Es ist jederzeit möglich, dass wir ein Verfahren einleiten.
Um ein Nachfragekartell zu verhindern, hat das Bundeskartellamt bei der Ausschreibung von Altpapier aus privaten Haushalten den Kommunen und den dualen Systembetreibern verboten, Entsorgungsdienstleistungen gemeinsam am Markt nachzufragen. Ist dies mit dem Vergaberecht vereinbar?
In diesem Zusammenhang wird doch einiges durcheinander gebracht. Die 2004 vom Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf rechtskräftig bestätigte Verfügung des Bundeskartellamtes wandte sich gegen Versuche von Kommunen, duale Systeme an einer eigenständigen Nachfrage von Entsorgungsdienstleistungen zu hindern. Eine gemeinsame Altpapiersammlung wird damit nicht verboten. Die Kommunen wandten damals ein, dass vergaberechtliche Bestimmungen einer eigenständigen Nachfrage entgegenstünden. Das Bundeskartellamt hat daher in der Verfügung mehrere Möglichkeiten aufgezeigt, wie solche Ausschreibungen gleichzeitig vergaberechtskonform und kartellrechtskonform gestaltet werden können.
Dennoch müssen öffentlich-rechtliche Entsorgungsunternehmen nach Auffassung des Oberlandesgerichts Rostock die Gesamtmenge der erfassten Wertstoffe ausschreiben. Führt dies in der Praxis nicht zu Irritationen?
Das Oberlandesgericht Rostock hat 2009 in einem untypisch gelagerten Fall lediglich eine der vom Bundeskartellamt beschriebenen Möglichkeiten als vergaberechtlich problematisch angesehen. Angesichts der speziellen Fallkonstellation, dass der Landkreis Ludwigslust mit der Ausschreibung neben bestehender Container-Sammlung und gewerblichen Blauen Tonnen eine neue, zusätzliche Altpapiersammlung im Holsystem etablieren wollte und völlig unklar war, ob und welche dualen Systeme die neue Sammlung mitbenutzen wollen, ist die Entscheidung gut nachvollziehbar. Selbstverständlich müssen die Kommunen in der Ausschreibung Angaben über die Abstimmungsvereinbarungen mit dualen Systemen machen. Die beiden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Rostock sind daher in der Praxis kompatibel, das sehen offenbar auch die Rechtsberater der Kommunen so.
Schwierigkeiten gibt es auch auf dem Altglasmarkt. Zwei Jahre nach der Untersagung des Einkaufskartells der Glashütten durch das Kartellamt hat DSD bei ihrer Ausschreibung die Entsorger dazu gezwungen, ihr das aufbereitete Altglas zur Vermarktung zu überlassen. Kritiker behaupten, DSD nutze hier seine marktbeherrschende Stellung, um Entsorger, die das Altglas aufbereiten, zu Lohnaufbereitern zu degradieren. Warum wird dies vom Kartellamt geduldet?
In den Jahren davor hat DSD die Aufbereitung und Verwertung des Altglases als Komplettleistung nachgefragt. Nun fragt DSD die Aufbereitung getrennt von der Verwertung nach. Das ist für sich genommen kartellrechtlich nicht zu beanstanden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, nach der das Eigentum der Abfälle nach Einwurf in die Tonnen bei den dualen Systemen liegt.
Im Bereich der Rücknahme und Verwertung von Elektro(nik)schrott sind ebenfalls Klagen über wettbewerbswidriges Verhalten zu hören. So sollen die großen Anbieter sich gegenseitig mit der Durchführung der Aufträge in den verschiedenen Regionen beauftragen. Werden dadurch nicht kleinere Anbieter benachteiligt, die sich kartellrechtskonform verhalten?
Diese Klagen hören wir von Zeit zu Zeit auch. Wir versuchen dann, von den Klageführern Fakten zu bekommen, die uns einen Einstieg in eine kartellrechtliche Prüfung gestatten. Der Anfangsverdacht, welche großen Anbieter sich wechselseitig beauftragen und um welche Regionen und welche Art von Elektro(nik)schrott es sich dabei handelt, sollte schon plausibel und möglichst mit Fakten verbunden sein, damit wir zielgerichtet ermitteln können. Dazu ist es bis jetzt nicht gekommen. Das kann sich aber natürlich jederzeit ändern.
Herr Mundt, vielen Dank für das Gespräch.