Von Peter Steinhauer
Unweit des Hackeschen Marktes im Berliner Bezirk Mitte eröffnete im vergangenen Jahr ein sogenannter Swapshop. Dort durften die Hauptstädter ihre alten Kleidungsstücke abgeben und sich dafür im „Fashionfundus“ bedienen. Der Shop erhielt so viel Zuspruch, dass sogar Filmstars wie Franka Potente oder Jessica Schwarz ihre aussortierten Modeschätze zum Tausch einreichten.
Die Idee des Swapshops zeigt: Den meisten Menschen widerstrebt es, ihre ausrangierten Hosen, Röcke, Kleider, Anzüge, Hemden und Schuhe einfach in den Müll zu werfen. Meistens passen die Sachen nicht mehr oder man ist einfach auf einen anderen Geschmack gekommen. Eingebunden in eine clever inszenierte Aktion wie zum Beispiel den Berliner Swapshop erzielen die alten Klamotten sogar wieder eine Nachfrage.
Alttextilien sind zu großen Teilen immer noch marktfähige Waren. Deren Entsorgung und Verwertung gilt deshalb als nur wenig vergleichbar mit den Praktiken beim Altpapier, Altglas, Elektroschrott oder Bioabfall. Horst Lammert ist gelernter Fleischer und aus familiären Gründen vor 35 Jahren zum „Lumpensammler“ geworden. „Im Grunde ist das, was wir als Sortierer heute machen, in erster Linie Handel“, beschreibt der Inhaber der Firma GRA seinen Job. In seinem in der Nähe von Berlin ansässigen Unternehmen beschäftigt der Textilrecycler 26 Mitarbeiter, die die von ihm angekauften gebrauchten Kleidungsstücke sortieren und in Ballen verpacken.
Seine Ware verkauft Lammert nach Osteuropa, Asien oder Afrika. Er berichtet davon, wie schwierig es manchmal ist, in Afrika an sein Geld zu kommen. In Osteuropa wiederum dauert es weitaus länger, bis die Geschäfte zum Abschluss kommen. Der Kontakt zu den unterschiedlichen Kulturen macht den Reiz des Geschäfts aus.
Eine eigene Sammlung der Alttextilien betreibt Lammert schon seit vielen Jahren nicht mehr. Die Sammlung gebrauchter Kleidung und Haustextilien erfolgt gegenwärtig vor allem über Container. Rund 120.000 Container sind derzeit in Deutschland aufgestellt. Der Anteil der Straßensammlung an der gesamten Altkleidersammlung beläuft sich nur noch auf 20 Prozent und gilt als Auslaufmodell. Die Aufstellung von Containern ist mit relativ hohen Investitionen verbunden und ist damit für viele Unternehmen zu einer Markteintrittsbarriere geworden. Der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) hat zusammen mit dem Fachverband Textilrecycling (FTR) im Oktober 2008 eine Studie veröffentlicht.
Demnach wurden im Jahr 2007 über Straßen- und Containersammlung rund 750.000 Tonnen Altbekleidung und gebrauchte Haustextilien in Deutschland gesammelt. 43 Prozent der Altbekleidung gehen direkt wieder in den Second-Hand-Verkauf. Mit der „Creme-Ware“ erwirtschaften die Betriebe einen Großteil ihrer Erlöse. Ware zweiter Qualität geht an Großhändler in Osteuropa, Afrika oder dem mittleren Osten.
Textilien, die nicht in den Second-Hand-Verkauf gehen, bringen nicht mehr so viel ein, können aber immer noch an Verwertungsfirmen verkauft werden. Die Verwerter schneiden aus dem Material Putzlappen oder stellen Recyclingmaterial her, wie zum Beispiel Reißwolle, Pappenlumpen oder Dämmmaterial. Etwa 10 Prozent der gesammelten Ware lässt sich nicht recyceln und muss daher als Abfall beseitigt werden.
In den zurückliegenden Jahren ist in der Branche eine zunehmende Professionalisierung und Internationalisierung zu beobachten. Zu den Vorreitern gehört die Soex-Gruppe. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst gerne als „Textilrecycling Network“ und verfügt über Standorte in 14 Ländern, in denen 2.500 Mitarbeiter arbeiten. Die Soex-Gruppe deckt die gesamte Wertschöpfungskette im Bereich des Textilrecycling ab – von der Sammlung über die Sortierung und die Verwertung. Das 1998 errichtete Werk Wolfen in Sachsen-Anhalt verarbeitet täglich 300 Tonnen sortierte Gebrauchttextilien und gilt aufgrund seiner Technik und Prozesssteuerung als eine der modernsten Anlagen der Welt.
Die Branche bietet vom kleinen Spezialisten wie Lammerts GRA bis hin zur weltweit aufgestellten Soex-Gruppe ein breites unternehmerisches Spektrum. Das Wachstum auf den Märkten für Alttextilien ist in den vergangenen Jahren eher moderat ausgefallen. Die Studie der Verbände bvse und FTR weist in den Jahren von 1993 bis 2004 bei der Inlandsverfügbarkeit ein Wachstum von circa 11,7 Prozent aus. Im Vergleich dazu geht man bei Entsorgung und Recycling von jährlichen Steigerungsraten bis zu 3 Prozent aus.
Zu kämpfen hat die Branche vor allem mit dem zunehmenden Kostendruck für Transport und bei den Löhnen. Vor allem die wachsende Konkurrenz von Neutextilien, die in Asien zu Spottpreisen hergestellt werden, macht den Textilrecyclern zu schaffen. Die Billigangebote führen auch zu einer immer mehr abnehmenden Qualität der Sammelware.
Da die Erwartungen von vornherein nicht so hoch sind, reagieren die Textilrecycler vielleicht gelassener auf die Wirtschafts- und Finanzkrise als andere Branchen.
Olaf Rintsch, Präsident der Textil-Sparte des Weltverbandes Bureau of International Recycling (BIR), spricht von „stabilen Märkten“. In seinem Quartalsreport schreibt er: „Kein Textilrecycler braucht derzeit Angst um sein Unternehmen zu haben.“ Rintsch sieht die Märkte im ersten Quartal 2009 trotz der Krise als „ruhig“ an und kann keine großen Schwankungen feststellen. Vor allem der Verkauf von sortierter
Ware nach Afrika stimmt Rintsch zuversichtlich: „Die Auftragsbücher sind voll.“
Rainer Binger, Geschäftsführer des Textilrecyclers FWS bestätigt die positive Einschätzung seines Kollegen: „Gut erhaltene Gebrauchtkleider sind weiterhin auf der ganzen Welt nachgefragt.“ Probleme bereiten momentan allerdings die Märkte in Osteuropa. Im Frühjahrs-Marktmonitor von FWS heißt es: „Der Verkauf von Bekleidung nach Osteuropa bleibt weiterhin, insbesondere wegen Abwertungen der lokalen Währungen gegenüber dem US-Dollar und Euro, schwieriger als vor Jahresfrist. In einigen Staaten ist der Markt für gebrauchte Kleidung fast zusammengebrochen.“ Der Bericht schließt mit der Feststellung: „Allgemein wird unter den Sortierern von einem schwierigen Jahr 2009 ausgegangen.“
Wie schwierig das Jahr 2009 für die Textilrecycler wirklich werden wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Thomas Probst vom Entsorgungsverband bvse gibt zu bedenken, dass die eigentlichen Auswirkungen der Krise einen großen Teil der Märkte noch nicht wirklich erfasst haben: „Die Wirtschafts- und Finanzkrise wird zeitverzögert dazu führen, dass die Sammelmengen zurückgehen. Vor allem bei qualitativ hochwertiger Kleidung, der sogenannten Creme-Ware, werden Einbußen hinzunehmen sein.“
Noch scheint die Stimmung bei den Textilrecyclern gelassener zu sein als in anderen Bereichen der Entsorgungswirtschaft. Das erstaunt manch einen Experten, da die Branche eigentlich dafür bekannt ist, gerne pessimistische Töne anzuschlagen. In der zweiten Hälfte des Jahres wird sich zeigen, wie stabil die Märkte beim Textilrecycling wirklich sind.