Auch die von der Kommission angestrebte Verpflichtung der Industrie, durch Lebenszyklusanalysen ihrer Produkte nachzuweisen, wann diese reif für die Entsorgung sind, wird fallen gelassen.
Bei der Unterscheidung zwischen Abfall und Rohstoffen und der Klassifizierung von Müllverbrennungsanlagen einigten sich Parlament und Ministerrat auf Regeln, die den Wünschen der Industrie nahe kommen.
Nationale Sonderregeln bleiben in einigen Bereichen der Abfallwirtschaft weiter möglich, etwa zur Begrenzung von Müllimporten.
Das Europaparlament, das in erster Lesung noch eine deutlich andere Position vertreten hatte, wird nach derzeitiger Planung Mitte Juni in zweiter Lesung über den mit dem Rat ausgehandelten Kompromiss abstimmen. Wird der vorliegende Text angenommen, ist die Richtlinie de facto beschlossen.
Der Ministerrat muss dann lediglich formal nochmals zustimmen. Der Kompromiss bleibt auch weit hinter den Forderungen des federführenden Umweltausschusses des Europaparlaments vom April zurück.
Die Grünen-Abgeordnete Hiltrud Breyer sprach gestern von einem Rückschritt für die EU-Umweltpolitik. Abfallvermeidung bleibe ein Thema für Sonntagsreden, ohne die verbindliche Vorgabe, die Müllmenge der EU bis 2012 auf dem Niveau von 2009 zu stabilisieren und bis 2020 zu reduzieren.
Dem Kompromiss zufolge ist nun vorgesehen, dass die EU-Kommission bis 2011 und 2014 Berichte zu Möglichkeiten der Müllvermeidung und denkbaren Reduktionszielen vorlegt und dann gegebenenfalls Gesetzesvorschläge macht.
Beim Recycling von Papier, Glas, Plastik und Metallen aus dem Hausmüll wird es keine verbindlichen Quoten geben, sondern nur die Zielmarke, 45 Prozent bis 2020 wieder zu verwerten. Beim Bauschutt sollen es 65 Prozent sein.
Diese Werte würden ohnehin in den meisten Staaten bereits übertroffen, heißt es bei den Grünen, die auch monieren, dass auf die Pflicht zur getrennten Sammlung dieser Stoffe ab 2015 verzichtet wird.
In der Abfallrahmenrichtlinie soll auch geregelt werden, wann Reststoffe als Abfall gelten und unter welchen Bedingungen sie über Grenzen gebracht und gehandelt werden dürfen. Das kann dafür entscheidend sein, welchen Zugriff Industrieunternehmen oder private und kommunale Entsorger auf wichtige Rohstoffe bekommen.
In Zukunft könnten zum Beispiel bestimmte Industrieschlacken als „Nebenprodukt“ statt als Abfall eingestuft werden und damit leichter handel- und verwertbar werden. Auch die Klassifizierung geshredderter Abfälle als Brennstoff (Refuse Derived Fuel – RDF) wäre nach Expertenangaben möglich, wodurch weniger strikte Auflagen für die Verbrennung gelten würden.
Industrie und Entsorgungswirtschaft haben jedoch kritisiert, es blieben so viele nationale Sonderregelungen möglich, dass es keinen wirklichen Binnenmarkt für Abfall und Reststoffe geben werde. Müllverbrennungsanlagen, die eine bestimmte Menge Energie aus dem verfeuerten Abfall erzeugen, können künftig als „Verwertungsanlagen“ statt als „Beseitigungsanlage“ eingestuft werden. Nur dann dürfen sie Müll aus weit entfernten Regionen und über EU-Binnengrenzen hinweg akquirieren.
Europäische Umweltverbände kritisieren die geplante Regelung, weil sie befürchten, dass künftig mehr Müll verbrannt wird. Wie Anlagen klassifiziert werden, kann die „Abfallströme“ innerhalb der EU beeinflussen und dazu führen, dass zum Beispiel Verbrennungsanlagen in Deutschland nicht mehr ausgelastet sind, während andere Länder mit Müll „überschwemmt“ werden.