Herr Harders, das Wichtigste zuerst: Was soll Boden & Bauschutt den Nutzer*innen bieten?
Für die Leistungen unserer Plattform muss man zwei Perspektiven berücksichtigen: die der Erzeuger, also beispielsweise Bauunternehmen, und die der Verwerter. Außerdem muss man neben den heutigen Leistungen auch die Möglichkeiten in der Zukunft betrachten. Aktuell bringen wir zu entsorgendes Material mit Verwertungsstellen zusammen. Dieser Prozess passiert in den Unternehmen heute noch händisch und meist mit bekannten Partnern. Aber es gibt auch Akteure, die man als Marktteilnehmer schwer überblicken kann und in der Regel nicht kennt. Man kennt zwar Deponien, aber nur in den Regionen, in denen man schon lange unterwegs ist – und dann kommen noch Aufbereitungsanlagen und die temporären Kippstellen hinzu, beispielsweise ein technisches Bauwerk, das Material braucht. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, dass weniger mineralische Abfälle beseitigt und mehr wiederverwendet werden. Das geht nur digital durch Vernetzung eben dieser beiden Akteure – und genau das macht unsere Plattform. In unserem BB-Cockpit kann man als Unternehmen ganz einfach Verwertungsstellen anlegen – Deponien und Aufbereitungsanlagen ebenso wie temporäre Kippstellen oder Recyclinganlagen. Den Verwertungsstellen müssen dann nur noch Preise zugeordnet werden – abhängig von den genehmigten Grenzwertlisten meiner jeweiligen Verwertungsstelle.
Auf der anderen Seite steht der Erzeuger, der Material auf der Plattform anlegt, seine Analyse automatisch per Schnittstelle hochlädt und ein Angebot anfordert. Alles andere erledigt unser Algorithmus im Hintergrund. Der Erzeuger hat so innerhalb von Sekunden ein Erstangebot. Die Verwerter können ihren Erstpreis innerhalb von 24 Stunden dann noch einmal nachschärfen und prüfen, ob sie zum Beispiel Touren kombinieren können oder ob die Beschaffenheit des Materials vielleicht besser ist.
Gibt es über diese Kernfunktionen hinaus weitere Vorteile?
Der Verwerter kann auch Erzeuger werden und umgekehrt. Denken wir an eine Baustelle: Diese hat einen Zyklus, der mit dem Anfall von Boden und Erdaushub anfängt. Der Tiefbauer will den Boden loswerden, der Entsorger holt das Material ab. Dabei denkt der Entsorger bereits darüber nach, wie er das Material behandeln und verwerten kann. Dann ist er in der Rolle des Erzeugers: Er kann das Material auf unserer Plattform einstellen und dort nach temporären Kippstellen suchen, um nicht unnötig lange Wege zurücklegen zu müssen. Im Idealfall fährt er das Material gar nicht mehr auf den eigenen Hof, sondern direkt auf die nächste Baustelle. Die Baustelle hat die Entsorgung ja schon Monate im Voraus geregelt. Aber die temporäre Kippstelle hat sich der Entsorger erst kurzfristig über die Plattform gesucht. Unsere Marktübersicht der Kippstellen umfasst allein für mineralische Abfälle bundesweit bis zu 5.000 Entsorgungsbetriebe. Diese und zusätzlich alle Verwertungsstellen der Entsorger und alle temporären Kippstellen der Bauunternehmer zu kennen, ist für ein Unternehmen allein unmöglich.
Und was verdienen Sie als Betreiber an diesem Handel?
Bis zum ersten Auftrag ist die Nutzung der Plattform für alle Beteiligten kostenfrei. Erst wenn der Vertrag zustande kommt, zahlt der Verwerter drei Prozent der tatsächlich in Rechnung gestellten Verwertung. Vergleicht man das mit dem bisherigen Aufwand – Vertrieb, Stoffstrommanagement, Einkauf und die Sichtung unzähliger Analysen –, rechnet sich das schnell, zumal nur die Preise ordentlich gepflegt werden müssen. Die Angebote werden automatisch abgegeben und müssen manuell nur noch nachgeschärft werden. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels haben wir alle Schwierigkeiten, gute Leute zu finden. Die Plattform nimmt dem Stoffstrommanager in diesem Sinne auch nicht die Arbeit weg, sondern unterstützt ihn in seiner täglichen Arbeit. Trotz Plattform braucht man schließlich immer noch die Expertise des Mitarbeiters – insbesondere, wenn es um die effiziente Steuerung interner Stoffströme und die damit verbundene Auslastung der eigenen Anlagen geht.
Die Baustoffbranche und besonders die Baustoffentsorgung haben viele Besonderheiten. Steigen Sie als Newcomer in die Branche ein?
Einer unserer Mitgründer ist schon viele Jahre in der Entsorgung mineralischer Abfälle aktiv und sieht diesen Bereich als junger Marktbegleiter durch eine etwas andere Brille als etablierte Akteure. Dabei hat er erkannt, dass der Markt noch sehr wenig digitalisiert ist und vieles händisch abläuft. Die Hauptmotivation war, das zu ändern, auch ganz besonders, um die Zukunftsfähigkeit der Marktteilnehmer zu sichern. Die Bauwirtschaft und besonders die Entsorgungsbranche sind ja sehr mittelständisch geprägt und haben eine regionale Struktur. Hier wollen wir wirklich praktikable Lösungen anbieten und diese gemeinsam mit dem Markt entwickeln.
Fällt das als Start-up schwer?
Start-ups drückt man immer gern den Stempel auf, sie nähmen das Geschäft nicht ernst genug. So wollen wir nicht handeln oder wahrgenommen werden. Wir haben inzwischen Kommanditaktien im Umfang eines knapp siebenstelligen Betrags verkauft – das heißt, wir haben zumindest Unternehmer gefunden, die bereit waren, uns in dieser frühen Phase zu finanzieren. Dafür haben wir auch mehr zu bieten als eine fixe Idee: Wir haben ein Geschäft aufgebaut und agieren sehr mittelständisch. Es ist vertraglich vereinbart, dass langfristig 70 Prozent des Unternehmens in den Händen des Marktes sein werden. Wir binden die Branche in die Entwicklung der Plattform und des Unternehmens ein. Mit dann über 300 Aktionären aus der Branche sind wir nicht der Gefahr ausgesetzt, irgendwann übernommen werden und die Plattform aus der Hand zu geben.
Gehen Sie damit auch auf die Sorge von kleinen und mittelständischen Unternehmen ein, vom Markt verdrängt zu werden?
Definitiv, ja. Einerseits ist man selbst immer zu klein, um eigene Lösungen zu entwickeln oder es wäre zu teuer. Andererseits ist da immer die Sorge, übernommen zu werden. Deshalb sind wir auch nicht die einzige digitale Plattform für die Abfallwirtschaft. Der Einstieg von immer mehr Akteuren zeigt, dass es ohne Digitalisierung auf Dauer nicht mehr funktionieren wird – schon allein, weil wir mit unseren Lösungen Rechtssicherheit für unsere Nutzer schaffen.
Sind Sie mit der Politik schon genauso gut vernetzt wie mit der Wirtschaft?
Da stehen wir noch ganz am Anfang. Aber auf der IFAT hat uns Bettina Hoffmann besucht, die parlamentarische Staatssekretärin der Bundesumweltministerin. Da entsteht gerade ein reger Austausch. Die Baustoffverordnung ist ja gut gemeint, aber die Umsetzung wird wahrscheinlich schwierig. Es gibt für viele Verwertungsstellen immer noch eine achtjährige Übergangszeit, da kann man sich nicht nur auf die Mantelverordnung beziehen. Ab August 2023 werden Unternehmen die Wahl haben, ob sie Analysen nach LAGA oder Mantelverordnung durchführen lassen. Es wird also beides praktiziert werden. Allein in der Analytik wird das zu enormen Mehrkosten führen. Dafür haben auch wir noch keine Lösung. Politik und Wirtschaft haben ja schon 17 Jahre diskutiert. Dennoch sehen wir die Entwicklung als Chance. Eine Plattform kann auch dann Empfehlungen geben, wenn für Material, das nach der Mantelverordnung analysiert wurde, nur zwei Angebote in 200 Kilometern Entfernung eingegangen sind: zum Beispiel, dass eine zusätzliche Analyse nach LAGA und hessischer Verfüllrichtlinie zu mehr und näheren Angeboten führen wird. Grundsätzlich immer zwei Analysen durchzuführen, würde schließlich nur die Labore freuen, wäre aber kostenseitig schlicht Unsinn – besonders bei Kleinstmengen an schwach belastetem Material.
Wäre es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, den Markt ganz anders zu gestalten?
Man könnte sicher vieles besser machen. Doch der Markt ist so wie er ist und niemand sollte ihn auf Kosten vieler Teilnehmer beschneiden und umkrempeln. Aber ich finde, man kann von allen Akteuren erwarten, dass sie ihren Beitrag leisten und nicht nur auf jeden einzelnen Euro gucken. Der größte Hebel ist die Erhöhung der Verwertungsquote mineralischer Abfälle als Sekundärrohstoffe. Andere Länder sind da schon weiter. Es müssen Anreize geschaffen werden, die genau das fördern. Auch wenn ich kein Freund staatlicher Eingriffe bin: Vielleicht ist der Gedanke einer Rohstoffsteuer nicht so schlecht. Denn von allein werden die wenigsten Dinge besser, sondern nur durch Preisdruck.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Marius Schaub.