Entgegen anfänglich hoher Zustimmungsraten wurde das CO2-Gesetz am 13. Juni 2021 von 51,6 Prozent des Stimmvolkes abgelehnt. Wie kam es zu diesem Meinungsumschwung, und was kann man daraus für die künftige Ausgestaltung einer mehrheitsfähigen Schweizer Klimapolitik lernen?
Dieser Frage widmete sich ein Forschungsteam um Martina Rothenberger und Professor Rolf Wüstenhagen an der Universität St.Gallen (HSG) in einer repräsentativen Befragung von 757 Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern nach der Abstimmung. Ein besonderes Augenmerk legten die Forschenden dabei neben den inhaltlichen Argumenten auch auf die emotionalen Dynamiken im Abstimmungskampf. Ein Thema, das seit Donald Trumps Sieg gegen Hillary Clinton im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 in der Meinungsforschung viel diskutiert wird.
Klimapolitik im Gefühlstief
Das Thema Klimapolitik weckt bei den Stimmbürgern gemischte Gefühle. Die Forschenden baten die Befragten, die ersten drei Gedanken oder Bilder zu notieren, die ihnen zum Thema Klimapolitik einfallen, und diese drei Assoziationen anschliessend auf einer emotionalen Skala zu bewerten. Es zeigt sich, dass die Gegner des CO2-Gesetzes mehrheitlich negative Assoziationen äussern, doch auch den Befürwortenden kommen überwiegend Gedanken oder Bilder in den Sinn, die nicht mit positiven Gefühlen verbunden sind.
Dies spiegelt eine strukturelle Herausforderung der Klimaproblematik wider: Es erscheint vielen Bürgerinnen und Bürgern wenig motivierend, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, und je mehr sich die Folgen des Klimawandels zeigen, umso ausgeprägter empfinden die Menschen Angst und andere negative Emotionen. Um die Stimmberechtigten für künftige klimapolitische Entscheide zu motivieren, gilt es verstärkt positive Wirkungen von Klimaschutz in den Blick zu nehmen – etwa gesundheitliche Vorteile durch geringeren Schadstoffausstoss, grössere Unabhängigkeit von anderen Staaten im Energiebereich oder den Genuss klimafreundlichen Reisens.
Wütend auf Klimaaktivisten und Klimaskeptiker
Starke Emotionen lösen sowohl Klimaaktivisten als auch Klimaskeptiker aus. Die Aktivisten polarisieren: 48 Prozent derer, die dem CO2-Gesetz zugestimmt haben, empfinden ihnen gegenüber Zufriedenheit, während 50 Prozent der Gegner wütend auf die Klimaaktivisten sind. Gegenüber Klima-skeptikern zeigen sich weniger grosse Unterschiede, hier überwiegen in beiden Lagern Angst und Wut, wobei letztere mit 63 Prozent bei den Ja-Stimmenden deutlich stärker ausgeprägt ist als bei den Nein-Stimmenden (38 Prozent). Selbst im Nein-Lager lösen Klimaskeptiker nur bei knapp 4 Prozent der Befragten Begeisterung aus, was darauf hindeutet, dass frühere Grundsatzdiskussionen über die Existenz des Klimawandels nur noch auf wenig Resonanz stossen.
Hitzige Gegner, unterkühlte Befürworter?
Im Vorfeld einer Volksabstimmung wird oft heiss diskutiert, und je mehr es im Abstimmungskampf hoch her geht, desto stärker ist tendenziell der Mobilisierungseffekt. Das Forschungsteam wollte von den Befragten wissen, wie sie diesbezüglich die Stimmung in beiden Lagern wahrgenommen haben. Auf einer Temperaturskala von «unterkühlt» (0°C) bis «hitzig» (30°C) wird dem Lager der Gegner des CO2-Gesetzes im Durchschnitt eine höhere Temperatur beigemessen als jenem der Befürworter. Besonders ausgeprägt ist die Wahrnehmung dieses Unterschiedes bei denjenigen, die dem Gesetz zugestimmt haben: Nach ihrer Einschätzung herrschte im Nein-Lager eine um 3.5°C höhere Temperatur als im Lager der Befürworter, deren Kampagne als eher unterkühlt wahrgenommen wurde.
Überschätzte Kosten, unklarer Nutzen
Wie auch schon in anderen Abstimmungsanalysen zeigt sich in den Daten der St. Galler Forschenden, dass die Nein-Kampagne mit ihrer Parole «teuer, nutzlos, ungerecht» einen Nerv bei den Stimmbürgern getroffen hat. In einer offenen Frage nach den drei wesentlichen Gründen für die Ablehnung verwendete rund die Hälfte der Nein-Stimmenden ungestützt das Wort «teuer».
Interessanterweise beruhte diese Einschätzung nicht immer auf einer präzisen Wahrnehmung der tatsächlichen Vorlage. So sah die Revision des CO2-Gesetzes beispielsweise eine differenzierte Flugticketabgabe von rund 30 Franken für innereuropäische Flüge (die rund 80 Prozent der Schweizer Flugreisen ausmachen) und bis zu 120 Franken für Interkontinentalflüge vor. Mehr als die Hälfte der Nein-Stimmenden (57 Prozent) und immer noch knapp die Hälfte der Ja-Stimmenden (45 Prozent) hielt hingegen irrtümlich die Aussage für richtig oder eher richtig, dass mit der Annahme des Gesetzes eine neue Steuer von 120 Franken für jedes Flugticket eingeführt werde. Rund die Hälfte der Stimmbevölkerung überschätzte demnach den Betrag der vorgesehenen Abgabe für die überwiegende Mehrheit der betroffenen Flüge um den Faktor 4.
Verstärkt wird diese verzerrte Wahrnehmung noch dadurch, dass die bereits im heutigen CO2-Gesetz vorhandene Rückerstattung der CO2-Abgabe an die Bevölkerung von dieser weitgehend unbemerkt bleibt. Nur 32 Prozent der Ja-Stimmenden und 23 Prozent der Nein-Stimmenden bejahten die Frage «Denken Sie, Sie haben im letzten Jahr eine Rückerstattung von CO2-Abgaben über die Krankenkassenprämien erhalten?» De facto erhielten 100 Prozent der Bevölkerung im vergangenen Jahr rund 87 Franken pro Kopf aus der Rückverteilung der Umweltabgaben über ihre Krankenkasse zurückerstattet. Eine bessere Sichtbarkeit dieses Geldflusses könnte die Akzeptanz von Lenkungsabgaben künftig erhöhen.