Nachhaltig aus der Krise

Das Konzept eines „guten Lebens innerhalb der planetarischen Grenzen“ ist die wesentliche Grundlage der EU-Nachhaltigkeitspolitik, die auf eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft abzielt.
(Quelle: Unsplash, Noah Buscher)

Die kurzfristigen Aussichten sind laut EEA jedoch nach wie vor unsicher und stellen eine Herausforderung für diese Zukunftsvision dar. Andere Prioritäten wurden gesetzt und die Aufmerksamkeit wurde von der Erreichung der Klima- und Umweltziele abgelenkt.

Die Aussichten für die Transformation seien schwer zu bestimmen. Zwar seien wichtige politische Maßnahmen auf den Weg gebracht worden. Andererseits hätten die jüngsten Krisen auch die Nachhaltigkeitstransformation gefährdet. Mit dem Bericht möchte die EEA Wege aufzeigen, wie die EU-Nachhaltigkeitspolitik in Krisenzeiten verankert werden kann. Langfristiges Denken sei für Transformationsprozesse unerlässlich. Die EU müsse an ihren langfristigen Nachhaltigkeitszielen festhalten. Gleichzeitig müsse sie in der Lage sein, sich in einem politischen Umfeld zurechtzufinden, in dem Risiken und Krisen die Prioritäten verschieben können. Es sei zu erwarten, dass die Widerstandsfähigkeit der EU immer wieder durch neue Krisen und Schicksale auf die Probe gestellt werde.

Umweltvorschriften würden oft als übermäßige Belastung und nicht als Chance gesehen. Die Transformation sei mit hohen sozialen Kosten verbunden. Dies erkläre auch die Widerstände in einigen Bereichen und die Misserfolge bei der Durchsetzung von Rechtsvorschriften. Dennoch sei klar, dass die europäischen Bürger*innen Klima- und Umweltfragen nach wie vor eine hohe Bedeutung beimessen. Langfristiges Denken müsse daher gerade in einem sich konstant verändernden politischen Umfeld mit kurzfristigen Entscheidungen fest verankert werden.

Die gegenwärtige Situation kann als eine Polykrise beschrieben werden, in der verschiedene wirtschaftliche, soziale und ökologische Krisen miteinander verwoben sind. Dies führe zu systemischen Risiken mit verstärkten und potenziell schwerwiegenden Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt. Ein wichtiges Element der Polykrise sei die dreifache planetarische Krise mit Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und Umweltverschmutzung. Sicherheit und Widerstandsfähigkeit hätten sich als zwei Prioritäten der europäischen Politik herauskristallisiert. Für die Politik bedeute die Polykrise vor allem, dass sie mit vielen Entscheidungen belastet sei, die
inmitten von Unsicherheiten und Schocks getroffen werden müssten. Umgekehrt würden die Bürger*innen die Fähigkeit der Politik in Frage stellen, die richtigen Entscheidungen zu finden.

Die sozialen, wirtschaftlichen und geopolitischen Krisen fielen mit einer verstärkten Nachhaltigkeits- und Umweltagenda im Rahmen des europäischen Green Deal zusammen. Dieses Zusammenspiel habe einen besonderen Kontext für die Entwicklung politischer Prioritäten geschaffen.

Das größte Risiko sieht die EEA in der Fragmentierung der Nachhaltigkeitsagenda aufgrund zunehmender Divergenzen zwischen den politischen Prioritäten Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Gerechtigkeit und den Klima- und Umweltzielen. Allerdings gebe es auch Möglichkeiten für eine Konvergenz zwischen Klima- und Umweltzielen und anderen Prioritäten. Dies könne vor allem durch eine Neuausrichtung der Prioritäten mit dem Fokus auf Klima und Umwelt geschehen.

Der Green Deal habe mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 eine übergreifende Logik für den Übergang zur Nachhaltigkeit geschaffen. Der externe und interne Druck auf die EU und die sich abzeichnenden Prioritäten zeigten jedoch, dass die Gefahr einer weiteren Fragmentierung der Umwelt- und Klimapolitik im nächsten Politikzyklus nicht gering sei. Ein nachhaltigkeitsorientierter Politikrahmen müsse daher zukunftsfest gemacht werden. Die Verankerung der Nachhaltigkeitsagenda in den sich neu herausbildenden Prioritäten könne von grundlegender Bedeutung für eine erfolgreiche Entscheidungsfindung in der Zukunft sein. Eine Neuausrichtung der sich abzeichnenden politischen Prioritäten entsprechend ihrer zentralen (wechselseitigen) Abhängigkeit von einer gesunden Umwelt und einem stabilen Klima könnte sicherstellen, dass die langfristigen Nachhaltigkeitsziele der EU, einschließlich ihrer Klima- und Umweltziele, in der gegenwärtigen Mehrfachkrise wirksam aufrechterhalten werden.

Die Verankerung von Klima- und Umweltzielen mit der Priorität der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit war bereits das Kernstück des Green Deal. Es wird davon ausgegangen, dass der Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft eine Reihe von sozioökonomischen Vorteilen mit sich bringt. Dazu gehören eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit der verarbeitenden Industrie, eine Diversifizierung der Energiequellen, eine geringere Abhängigkeit von Importen und eine verbesserte Ressourceneffizienz. Insgesamt könne so die wirtschaftliche Verwundbarkeit der EU verringert werden.

Im Bereich der digitalen Technologien liegt die EU hinter Asien und den USA zurück. Umso wichtiger sei es, eine Führungsrolle bei grünen Technologien zu übernehmen, um die Vorteile des fortschreitenden digitalen und grünen Wandels zu nutzen.

Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit würden seit Jahrzehnten zu den obersten Prioritäten der EU gehören. Dies sei vor allem auf ihre Ursprünge als Wirtschaftsunion mit der Schaffung des Binnenmarktes zurückzuführen. Dieses Modell habe über Jahrzehnte wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in der EU ermöglicht, aber auch ökologische und soziale Verwundbarkeiten geschaffen. Zwar würden technische Innovationen und marktwirtschaftliche Instrumente zum Klimaschutz beitragen, die Ambitionen der Nachhaltigkeitsvision würden jedoch einen tiefgreifenden Wandel des sozioökonomischen Modells der EU erfordern. Es werde immer deutlicher, dass die enge und übertriebene Fokussierung auf die Steigerung des BIP zu weiteren Umweltbelastungen führe.

Auf EU-Ebene bestehe die Möglichkeit, so etwas wie eine Strategie für eine Wohlfahrtsökonomie zu entwickeln, die darauf abzielt, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der EU neu zu definieren, indem die Dimensionen Sicherheit, Soziales und Umwelt integriert werden. Kernelemente einer solchen Strategie könnten neben Maßnahmen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Mindestlöhne, eine universelle Grundversorgung, die Deckelung von Managergehältern, Unternehmenssteuersätze und eine Luxussteuer sein.

Eine zentrale Schlussfolgerung des Berichts ist, dass Nachhaltigkeit nicht einfach als Summe verschiedener Prioritäten erreicht werden kann. Es sei notwendig, die neuen Prioritäten so umzugestalten, dass sie mit der Vision eines „guten Lebens innerhalb der planetarischen Grenzen“ übereinstimmen. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass eine vollständige Politikkohärenz zwar wünschenswert, aber in der Praxis kaum zu erreichen sei.

Als zweite Schlussfolgerung warnt die EEA davor, dass der Green Deal in eine Vielzahl konkurrierender Prioritäten und Maßnahmen zerfallen könnte. Es bestehe die Gefahr, dass die Vision eines nachhaltigen Europas fragmentiert oder sogar aufgegeben werde.

Die Nachhaltigkeitstransformation müsse mit einer starken „sozialen Garantie“ gekoppelt werden, die Maßnahmen zur Abfederung der sozialen Folgen umfasst. Dies sollte neben der Beschleunigung der Transformation Priorität haben.

Abschließend betont die EEA, dass Nachhaltigkeit nicht nur als erstrebenswertes Ziel für die Zukunft gesehen werden sollte, sondern auch als eine Art des Regierens in der Komplexität einer permanenten Polykrise. Die Schwierigkeiten des derzeitigen Ansatzes ergeben sich nicht aus der Dichotomie zwischen lang- und kurzfristigem Denken an sich, sondern aus der Gefahr, dass verschiedene Prioritäten und kurzfristige Reaktionen auf verschiedene Krisen nicht aufeinander abgestimmt sind. Die globalen wirtschaftlichen, geopolitischen und ökologischen Krisen, die den großen Umwälzungen des 21. Jahrhunderts zugrunde liegen, sind systemisch und müssen auch systemisch angegangen werden.

Bei der Neuausrichtung der Nachhaltigkeitsagenda als Grundlage für das Management neuer systemischer Risiken durch die EU müssen kurzfristige Maßnahmen sorgfältig in einen politischen Rahmen eingebettet werden, der auf einer pragmatischen und vorausschauenden Bewertung der Risiken und Chancen in den wichtigsten prioritären Bereichen beruht: Umwelt und Klima, Wettbewerbsfähigkeit sowie Gerechtigkeit und Sicherheit.

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