Seit Jahren wird diskutiert, wie ein fairer Vergleich zwischen erdölbasierten Produkten und Produkten aus Biomasse, Carbon Capture and Utilisation (CCU) und Recycling möglich ist. Ein immer wieder kritisierter Aspekt ist, dass während bei den erneuerbaren, kohlenstoffbasierten – oft neuartigen – Produkten alle möglichen Umweltwirkungen mit großem Aufwand analysiert und in die Ökobilanz einbezogen werden, die Prüfung bei fossilem Erdöl weniger streng erscheint. In der Regel werden im letzteren Fall Standardwerte verwendet, die regionale Unterschiede nicht vollständig berücksichtigen, denen es an Granularität und Transparenz mangelt und die eine Reihe von Wirkungen nicht ähnlich detailliert berücksichtigen, wie dies bei den nicht-fossilen Produkten erforderlich ist.
Die beiden letzten Aktualisierungen der Schweizer Ecoinvent-Daten, die die Grundlage für viele europäische Ökobilanzen bilden, beginnen, einige dieser Ungleichgewichte zu beseitigen, da sie aktualisierte Daten zu fossilen Rohstoffen und Kunststoffen enthalten. In den Ecoinvent-Versionen 3.9 und 3.10 (Ende 2023) wurden neue Daten zur Versorgung mit Erdöl und Erdgas implementiert, die erstmals auch unbeabsichtigte Methanemissionen bei der Gewinnung und Verarbeitung berücksichtigen. Eine weitere genauso relevante Datenbank in von Sphera (GaBi) arbeitet ebenfalls an einer entsprechenden Aktualisierung ihrer Daten.
„Ecoinvent v3.9 führt eine umfassende Überarbeitung der Daten zur Erdgas- und Erdölversorgung ein. Insbesondere enthält diese Version eine Aktualisierung der Erdgas- und Erdölversorgungsketten (Produktion, Ferntransport und regionale Verteilung) in der ecoinvent-Datenbank, um die globale Versorgungssituation im Jahr 2019 widerzuspiegeln. Der geografische Erfassungsbereich der Datenbank wurde um Daten zur Produktion von Erdgas und Erdöl in verschiedenen Ländern und Regionen erweitert. Zusammengenommen deckt die ecoinvent-Datenbank nun 90 % der weltweiten Erdölproduktion und fast 80 % des Erdgases ab. Darüber hinaus werden mit der Aktualisierung regionale Verbrauchsmixe für Erdöl in Nordamerika und Europa sowie neue oder aktualisierte Erdgaslieferungen für 44 Länder eingeführt, die auf der Situation im Jahr 2019 basieren.“
„Der Chemiesektor wurde aktualisiert, um die Datendarstellung für wesentliche chemische Grundstoffe und ihre Derivate zu verbessern, wie z. B. kurzkettige Alkene (Ethylen, Propylen, Buten und Butadien), monozyklische Aromaten (Benzol, Toluol und Xylole [p-, o-, gemischt]), Ethylenoxid und Ethylenglykol. Weitere wichtige Aktualisierungen umfassen die Erweiterung der technologischen und geografischen Abdeckung für Ethylen, Propylen, Wasserstoff und Methanol. Insbesondere führt ecoinvent v3.10 Daten für China, die Vereinigten Staaten und Europa ein.“
Darüber hinaus wurde im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen IFEU, PlasticsEurope und Ecoinvent eine verbesserte Disaggregationsebene für Steamcracking und die Herstellung von Polyolefinen (PE, PP), PVC und PET hinzugefügt, was die Transparenz dieser Prozesse erhöht.
Infolge der genannten Aktualisierungen hat sich der durchschnittliche CO₂-Fußabdruck von Erdöl und Erdgas und deren Folgeprodukten zwischen Ecoinvent Version 3.8 und der neuesten Version 3.10 deutlich erhöht. Der Fußabdruck von fossilem Naphtha hat sich fast verdoppelt, und die Fußabdrücke von Standardkunststoffen sind um etwa 30 % gestiegen (PET 26 %, PE 34 % und PP 30 %).
Dies kann als Ausgangspunkt dienen, die Auswirkungen von Erdöl und fossilen Rohstoffen erneut im Detail zu überprüfen und sie in Ökobilanzen angemessen zu berücksichtigen, da die Nutzung fossiler Rohstoffe schlussendlich die Hauptursache für den vom Menschen verursachten Klimawandel ist.
Die Auswirkungen dieser vergrößerten Fußabdrücke werden für den Vergleich mit nicht-fossilen Kunststoffen und anderen Produkten, die aus erneuerbarem Kohlenstoff hergestellt werden, erheblich sein. Viele Berechnungen von CO₂-Fußabdrücken werden auf der Grundlage der aktualisierten Daten neu berechnet werden müssen, wobei zu erwarten ist, dass sich frühere Vergleiche zwischen fossilen und nicht-fossilen Kunststoffen weiter zugunsten der letzteren verschieben werden. Während beispielsweise der CO₂-Fußabdruck, der mit der Herstellung von biobasierten Kunststoffen verbunden ist, in der Regel etwa 20-30 % niedriger war als der von Kunststoffen auf fossiler Basis, wird nun erwartet, dass biobasierte Kunststoffe tatsächlich 40-50 % weniger CO₂ ausstoßen als ihre vergleichbaren Pendants auf fossiler Basis.
Michael Carus, Geschäftsführer von RCI, sagt: „Die Defossilisierung der chemischen Industrie ist für den Klimaschutz wichtiger als bisher angenommen. Die Bedeutung von biobasiertem und CO₂-basiertem Kohlenstoff wurde unterschätzt, weil die Daten für Erdöl und Erdgas systematisch geschönt wurden. Nun sind die ersten Schritte unternommen, um die wahren Auswirkungen der Erdölnutzung zu erkennen. Die Politik hat nun einen weiteren Grund, den Wandel der chemischen Industrie weg vom fossilen Kohlenstoff viel stärker zu unterstützen.“
Es wird erwartet, dass die Ergebnisse einen erheblichen Einfluss auf die europäische Politik haben werden, die bisher wenig Unterstützung für Alternativen aus erneuerbarem Kohlenstoff gezeigt hat. Biobasierte Produkte sowie CO₂-basierte oder recycelte Produkte könnten in der zukünftigen Politik eine viel größere Rolle spielen, zum Beispiel in der Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (PPWR) oder im Transition Pathway der Europäischen Kommission für die chemische Industrie, dessen Umsetzung derzeit vorbereitet wird.
Um diese neuen Aktualisierungen und ihre Auswirkungen vollständig zu verstehen, prüft das Renewable Carbon Initiative (RCI) die Beauftragung eines Projekts, das die Unterschiede und ihre Folgen untersucht und die aktualisierten fossilen Fußabdrücke in ecoinvent mit anderen großen LCA-Datenbanken wie GaBi und CarbonMinds vergleicht. Die ersten Ergebnisse würden nur den RCI-Mitgliedern zur Verfügung stehen.