Kreislaufwirtschaft macht die Industrie nachhaltiger, unabhängig von Rohstofflieferländern und resilient. Doch der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, die mit vernetzten Daten arbeitet, braucht Automatisierung und KI. Schnell kann dabei aus Big Data Bad Data werden.
„Wir stellen uns den Zukunftsthemen und wollen diese in der Mess- und Automatisierungstechnik mit vernetzten Daten und KI positiv gestalten“, sagt Prof. Michael Weyrich, Vorsitzender der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik im Zuge der VDI-Konferenz Automation in Baden-Baden. Doch Hemmnisse aus der Gesellschaft sowie politische Regulierungsdiskussionen bremsen die KI-Entwicklung für den Industriestandort Deutschland aus. Ingenieurinnen, Ingenieure sowie der Nachwuchs tragen hier eine besondere Verantwortung. Weyrich erklärt: „Wir konzentrieren uns in der gesellschaftlichen Diskussion auf Fragen der Ethik, des Rechts und der Regulierung, ohne die konkreten technologischen Herausforderungen aufzuzeigen und uns für deren technische Lösung zu begeistern. Ingenieurinnen und Ingenieuren widmen sich der Gestaltung von Technologie und schaffen damit die Zukunft.“
Forderung nach Pragmatismus
Der Appell nach Pragmatismus wird laut. „Zukunft der vernetzten Datenwelt und KI in der Mess- und Automatisierung funktioniert mit den Ingenieurinnen und Ingenieuren, wenn wir genügend viele Personen für das Thema begeistern und diese nicht durch die offenen und ungeklärten Fragen zum Einsatz von neuen Technologien erschrecken“, so Weyrich, Leiter des Instituts für Automatisierungstechnik und Softwaresysteme an der Universität Stuttgart.
Technologieoffenheit ist ein großes Thema in der Mess- und Automatisierungstechnik. „Erst technologieoffen über die Möglichkeiten nachdenken und dann die Technologien machen, die man aus rechtlichen und ethischen Gründen auch umsetzen will“, sagt Weyrich.
Automatisierung als Enabler der Nachhaltigkeit
Jetzt und in Zukunft sei die Digitalisierung und Automatisierung Enabler der Nachhaltigkeit in allen Sektoren, meint Dr. Wilhelm Otten, Vorsitzender des interdisziplinären Gremiums Digitale Transformation im VDI, Inhaber Wotten Consulting. Der Aufbau und das Management der Kreislaufwirtschaft sind für den Wirtschaftsstandort Deutschland entscheidend, denn 45 % des Primärenergiebedarfs des Landes fließt in Produktion und Gewerbe. „Wesentliche Rohstoffe sind in ihren Vorkommen limitiert und müssen importiert werden. Kreislaufwirtschaft macht die Industrie unabhängig von Rohstofflieferländern und resilient“, so Otten. Doch der Aufbau der Kreislaufwirtschaft verlangt Veränderungen. Festmachen ließe sich das laut Wilhelm Otten an einem veränderten Kaufverhalten und dem Ruf nach nachhaltigen Geschäftsmodellen. „Das Informationsmanagement entlang der gesamten Wertschöpfungsketten unter Nutzung der Simulation und KI ist entscheidend, um die notwendige Transparenz zu schaffen und die Kreislaufwirtschaft zu optimieren“, gibt er an. Er ist sich sicher, dass in der Produktion KI nur in Verbindung mit ingenieurtechnischen Kompetenzen erfolgreich sein wird. „Zur Meisterung dieser Herausforderungen bedarf es überzeugter, junger Ingenieurinnen und Ingenieure, die die Technologieentwicklung treiben und gestalten.“
Umgang mit extremen Daten
Prof. Iris Gräßler, Vorsitzende des VDI-Fachbeirats Digitalisierung und Virtualisierung sowie Vorstand am Heinz Nixdorf Institut an der Universität Paderborn, bekräftigt im Zuge des Kongresses: „Um Klimaneutralität zu erreichen, brauchen wir kreislauffähige Produkte.“ Mit der Forderung nach Kreislaufwirtschaft werden nicht nur die technischen Systeme an sich komplexer, sondern auch ihre Lebenszyklen. „Wir kämpfen heute damit, dass zwischen Entwicklung und Rezyklierung eines Produkts ein ganzes Produktleben liegt – also bei einem Kraftfahrzeug durchaus zwei Jahrzehnte Zeit. Das heißt, wir müssen uns heute überlegen, welche Mengen und Qualitäten an rezyklierten Material in fünf, zehn oder fünfzehn Jahren zur Verfügung stehen werden“, führt sie weiter aus.
Ressourcenverbrauch, Abgasemissionen und Recyclingprozesse, die über einen digitalen Zwilling abgebildet werden, gehen mit massenhaften Datenmengen einher. „Diese Datenmengen stammen aus verschiedenen Quellen, unterliegen großen Schwankungen und Unsicherheiten – wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von extremen Daten“, ordnet Gräßler ein.
Laut ihr reichen etablierte Verfahren, wie Heuristiken, Modelle und Simulationen, nicht mehr aus, um Daten vollständig und schnell genug berücksichtigen zu können. „Mithilfe von KI-Algorithmen werden zukünftige Entwicklungsentscheidungen unterstützt. Es gilt also, mit Automatisierung und KI die Grundlagen für eine neue Leistungsfähigkeit in der Produktentstehung zu legen“, schließt sie.