„Wir müssen uns von der derzeitigen, mengenbezogenen Kompensationslogik lösen. Das Prinzip „eine Tonne rein – eine Tonne raus“ funktioniert nicht, weil das Plastikproblem nicht nur ein ökologisches und ökonomisches, sondern auch ein soziales Problem ist.“ Das schreibt der Friedensnobelpreisträger Prof. Muhammad Yunus im neuen POLY¬PROBLEM-Report mit dem Titel „Kauf Dich frei – Der schwere Weg zur Plastik-Neutralität“.
Ausgleichsmaßnahmen spielen bei der Bekämpfung der globalen Plastikmüllkrise noch eine untergeordnete Rolle. Das liegt vor allem an einem intransparenten Markt und einer unzureichenden Standardisierung. Zu diesem Schluss kommen die gemeinnützige Röchling Stiftung und das Beratungshaus Wider Sense in ihrer neuen Studie.
Sie analysiert die Chancen und Grenzen sogenannter Plastic Credits. Immer mehr Initiativen und Organisationen bieten solche Zertifikate zum Kauf an, um mit dem Erlös ihre Aktivitäten zur Sammlung und Verwertung von Kunststoffabfällen – vor allem in Entwicklungsländern – zu finanzieren.
Nach intensiven Recherchen in enger Kooperation mit Yunus Environment Hub gelangten die Autorinnen und Autoren des POLYPROBLEM-Reports zu einer kritischen Bestandsaufnahme. „Es mangelt nicht an seriösen Initiativen mit guten Projekten“, stellt Annunziata Gräfin Hoensbroech, Kuratoriumsvorsitzende der Röchling Stiftung, fest. „Aber es ist völlig unklar, was eine vermeintliche Plastik-Neutralität überhaupt bedeutet und voraussetzt.“
Manche Organisationen finanzieren mit den Einnahmen aus dem Verkauf von Plastic Credits gezielt die Sammlung und Verwertung von Material, das bisher liegen bleibt, weil die Recyclingindustrie an bestimmten Kunststoffen nicht interessiert ist. Andere wiederum investieren in Sammelaktivitäten auf Gewässern. Auch die Zusammenarbeit mit den lokalen Partnerorganisationen im Globalen Süden und den Abfallsammlern vor Ort gestaltet sich sehr unterschiedlich.
Zwar gibt es inzwischen einige Organisationen, die Standards formulieren und Gütesiegel vergeben. Doch auch diese setzen unterschiedliche Schwerpunkte. „Wenn die Anbieter und Vermittler von Ausgleichsmaßnahmen die häufig gehörten Vorwürfe hinsichtlich Greenwashing und bloßem Ablasshandel abschütteln wollen, müssen sie sich rasch auf qualitative Normen und einheitliche Definitionen verständigen“, stellt Wider Sense-Geschäftsführer Michael Alberg-Seberich fest.
Dabei bieten Plastic Credits als alternativer Finanzierungsmechanismus durchaus Potenzial. Unternehmen können mit diesem Instrument schnell und unbürokratisch zum Aufbau von Strukturen für eine Abfall- und Recyclingwirtschaft beitragen, wo das Konzept der erweiterten Produzentenverantwortung (EPR) noch nicht etabliert ist. Dies setzt allerdings voraus, dass die Mittel nicht in einmalige Cleanup-Aktionen fließen, sondern in den Strukturaufbau und somit dauerhaft Arbeitsplätze vor Ort sichergestellt werden.
Generell schwierig finden die Herausgeber des neuen POLYPROBLEM-Reports das Versprechen einer angeblich über Kompensation zu erreichende Neutralität. „Einen ökologischen Schaden, den wir durch eine Plastikmüll-Emission in Afrika bereits verursacht haben, können wir nicht in Asien ausgleichen. Deshalb funktioniert auch der fälschlicherweise oft gezogene Vergleich zwischen Plastic Credits und CO2-Zertifikaten nicht“, sagt Uwe Amrhein von der Röchling Stiftung.
Die Studie lässt zahlreiche internationale Expertinnen und Experten zu Wort kommen – von der kleinen lokalen NGO über namhafte Anbieter, Makler und Standardisierer bis hin zu Vertreterinnen der Konsumgüterindustrie, die bereits Erfahrungen mit Plastic Credits gesammelt haben. Kompakt zusammengefasste Handlungsempfehlungen helfen Unternehmen und Privatpersonen bei der Orientierung.