Mehr denn je ist grenzüberschreitende Abfallverbringung ein elementarer Teil der Kreislaufwirtschaft, die sich die Europäische Union im Rahmen des Green Deals zum Ziel gesetzt hat. Der Müllexport beherrscht die oft sehr emotional geführte Debatte um die Frage, nach welchen Regeln Abfall importiert und exportiert werden soll. Gestern trafen sich die Mitglieder des EU-Umweltausschusses, um über eine neue Abfallverbringungsverordnung abzustimmen. Der sperrige Begriff umschreibt Regeln rund um den Import und Export von Abfall in und aus der EU. In Zeiten von Rohstoffknappheit und -abhängigkeit kommt diesem Thema eine große Bedeutung zu. Denn aus recyceltem Abfall entstehen wertvolle Sekundärrohstoffe, die wiederum die Grundlage einer erfolgreichen Kreislaufwirtschaft im Sinne des Green Deals sind.
Peter Kurth, Präsident des Europäischen Abfallwirtschaftsverbandes FEAD: „Wir hoffen, dass die neue europäische Verordnung die Verbringung von Abfällen zur Wiederverwendung und zum Recycling in der EU deutlich erleichtern wird. Gleichzeitig soll sie sicherstellen, dass die EU ihre Abfallproblematik nicht in Drittländer verlagert und die illegale Verbringung von Abfällen effektiv bekämpft wird. Das würde nicht nur dem Image der Branche helfen, sondern vor allem der europäischen Kreislaufwirtschaft.“
Gabriele Jüly, Präsidentin des Verbands Österreichischer Entsorgungsbetriebe (VOEB), fasst zusammen: „Abfallverbringung ist ein Schlüsselinstrument der europäischen Kreislaufwirtschaft. Das Ziel unserer Branche ist es, aus Abfall hochwertige Sekundärrohstoffe für die Industrie aufzubereiten. Aber dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn uns die EU-Ländergrenzen nicht im Wege steht. Wir brauchen vielmehr einen freien Binnenmarkt für den Wertstoff Abfall-Rezyklate.“
Wieso ist grenzüberschreitende Abfallverbringung für Europa so wichtig? Sechs Thesen:
1. Abfallverbringung sichert Sekundärrohstoffe für die Kreislaufwirtschaft – dafür braucht es einen klaren gesetzlichen Rahmen
Abfallexpertinnen und -experten kritisieren die derzeitige Rechtslage. Sie sind der Meinung, dass ihre Branche besonders strengen und komplexen Regelungen unterliegt. So müssen Sekundärrohstoffe viel aufwendigere Auflagen erfüllen als Primärrohstoffe. Diese unterschiedliche Handhabung zwischen Rohstoffen aus Abfall und Rohstoffen aus primärer Quelle ist ein deutlicher Nachteil für die Branche, und in weiterer Folge für die Kreislaufwirtschaft. Auch steigt die Anzahl jener Abfälle, die in der EU komplexe, zeitintensive und teure Notifizierungsverfahren erfordern. Kurth: „Maximale Bürokratie ist nicht maximaler Umweltschutz. Wir brauchen einheitliche Regelungen, effiziente Behörden und einen konsequenten Vollzug der bestehenden Gesetze. Wenn wir einen Binnenmarkt für Rezyklate haben wollen, dann dürfen wir keine neuen Grenzen hochziehen, sondern bestehende abbauen.“
2. Abfallverbringung garantiert die Auslastung hochspezialisierter Recyclingbetriebe – dafür müssen sich die Stoffströme erhöhen
Während in Ländern wie Österreich die meisten EU-Recyclingquoten für Altstoffe wie Glas, Papier oder Metalle erfüllt werden, wird in anderen Ländern Abfall zum Teil noch immer deponiert. „Das ist genau das Gegenteil von Kreislaufwirtschaft. Trotzdem macht es keinen Sinn, wenn in jedem Land neue Recyclingsysteme für alle recycelbaren Wertstoffe gebaut werden. Wir brauchen eine europäische Gesamtsicht, um in wirtschaftlich sinnvolle, grenzüberschreitende Lösungen zu investieren“, ist Kurth überzeugt. Auch in der Abfall- und Ressourcenbranche muss die Wirtschaftlichkeit von Betrieben gesichert sein. So sei eine grenzübergreifende Abfallverbringung schon allein deswegen notwendig, um spezialisierte Anlagen auszulasten. Jüly ergänzt: „Europa braucht mehr spezialisierte Stoffströme, und in größeren Mengen. Nur dann machen Investitionen in hochmoderne Recyclingbetriebe Sinn.“
3. Abfallverbringung verringert die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen
Erst vor wenigen Wochen hat die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen bestätigt , ein Gesetz zu planen, um die Abhängigkeit von Rohstofflieferungen aus Drittstaaten zu vermeiden. Dieser sogenannte „Critical Raw Material Act“ ist für die Abfallwirtschaft von großer Bedeutung, schließlich ist Recycling ein effektives Mittel, um die europäische Rohstoffversorgung zu sichern. Konkret geht es um Rohstoffe, die knapp vorhanden sind. Jeder Abfall, in dem sich diese Rohstoffe befinden, sollten in Europa bleiben, hier recycelt und der europäischen Industrie zur Verfügung gestellt werden.
4. Abfallverbringung schafft einen Binnenmarkt für Rezyklate – dafür muss innerstaatlicher und -europäischer Abfall gleichgestellt werden
Wenn Abfall von Vorarlberg nach Wien verbracht wird, beträgt die Entfernung rund 650 Kilometer. In eine Schweizer Anlage sind es viel weniger Kilometer, aber die grenzüberschreitende Abfallverbringung innerhalb der EU erfordert, dass in diesem Fall innerstaatliche Anforderungen, Notifizierungsverfahren und ein Begleitscheinverfahren erfüllt werden müssen. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keine sachlichen Gründe: die Abfallzusammensetzung ist identisch und es gelten EU-weit einheitliche Standards mit hohem Schutzniveau für Mensch und Umwelt.
5. Abfallverbringung für thermische Verwertung verhindert Deponien
Die aktuellen Kommissionsvorschläge erwägen weiters, die Abfallverbringung mit dem Zweck einer thermischen Verwertung einzuschränken. Das sei ein falscher Schritt, so Kurth: „Die Alternative zur thermischen Verwertung im Ausland wäre vielfach Deponierung von Abfällen im Inland. Deponierung ist die Ursache für große Mengen an Treibhaugasemissionen und führt dazu, dass wir Klimaneutralität nicht erreichen können. Das müssen wir verhindern, eben auch durch die Möglichkeiten thermischer Verwertung in anderen Ländern.“ Schon seit Jahren fordern die europäischen Abfallverbände ein EU-weites Deponieverbot, das leider noch immer nicht umgesetzt wurde.
6. Effiziente Abfallverbringung braucht konsequente Kontrollen
Die Debatte um grenzüberschreitende Abfallverbringung ist in der Regel emotional aufgeladen. VOEB und FEAD betonen jedoch, dass es nicht an Gesetzen fehlt, sondern am Vollzug scheitert. Kurth warnt: „Es ist richtig, konsequent gegen die illegale Verbringung vorzugehen und kriminelle Strukturen zu zerstören. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die für die Kreislaufwirtschaft nötige grenzüberschreitende Abfallverbringung durch nicht erfüllbare Überregulierung zum Erliegen kommt. Illegaler Müllexport schadet der Umwelt, unserem Branchenimage und letztendlich der gesamten Wirtschaft. Wir fordern vielmehr eine bessere Zusammenarbeit aller involvierten Behörden sowie eine strengere Kontrolle der bestehenden Gesetze.“ Auch die Abfallverbringung in Drittstaaten unterliegt klaren Regeln. Die Europäische Kommission arbeitet an einigen Herausforderungen.
Wenn verwertbare Abfälle als wichtige Ressource dienen sollen, müssen sie innerhalb des Binnenmarktes dorthin verbracht werden, wo sie den größten ökonomischen und ökologischen Nutzen haben können. Das Abfallverbringungsrecht darf nicht Hemmnis für die Verwirklichung der Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung in der EU sein.