Nicht vom Kurs abweichen

Der russische Angriff auf die Ukraine hat das Bündel an Krisen, denen sich Gesellschaft und Wirtschaft ausgesetzt sehen, um eine weitere ergänzt.
Foto: Wolfgang Eckert; pixabay.com

Vor allem besteht die Gefahr, dass wichtige Rohstoffe knapp werden. Das Umweltbundesamt (UBA) betont in seinem Bericht „Kurs halten in der Krise – schneller auf den Pfad zur industriellen Dekarbonisierung!“ aber, dass deshalb nicht alle Klimaziele über den Haufen geworfen werden dürfen. Vielmehr müssten vorhandene Potenziale besser ausgenutzt werden. Das betrifft ganz explizit auch das Recycling.

Die Autor*innen betonen, dass Deutschland ein produktions- und exportstarker Industriestandort ist. Die Industrie sei dabei in unterschiedlichem Maße von Importen und Exporten abhängig. Durch Krisen werden die Liefer- und Wertschöpfungsketten gestört. Darauf müssten die Branchen reagieren. Derzeit ergebe sich die Situation, dass Deutschland einerseits bis 2045 klimaneutral werden will. Andererseits hat der russische Angriff auf die Ukraine erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Industrie. Auch die Pandemie wirkt noch nach. „Die Zahl der Krisen vergrößert sich und trifft auf andere expandierende Krisen, wie den voranschreitenden Klimawandel und den Verlust der Biodiversität, mit den sich daraus ergebenden Unsicherheiten und Handlungsbedarfen.“

Allerdings könne die Industrie nicht in vollem Umfang schnell auf sich ändernde Gegebenheiten reagieren, da finanzielle und zeitliche Aufwände nötig sind. Hinzu kommen der Fachkräftemangel, Mangel an bestimmten Rohstoffen und Produkten sowie volatile Material- und Energiepreise. „All dies verunsichert und hemmt derzeit die Investitionsbereitschaft. Doch sind daneben auch viele Maßnahmen jetzt zu ergreifen, um den Industriesektor auf die Krisensituation hin auszurichten.“ Allerdings habe die deutsche Industrie die Transformation zu einer treibhausgasarmen Produktion bereits begonnen, auch wenn sie in manchen Bereichen erst am Anfang steht. Dieser Weg müsse fortgesetzt werden. Dabei könne die Krise auch eine Chance sein, so das UBA. Durch eine verringerte Einfuhr fossiler und mineralischer Rohstoffe gewinnen erneuerbare Energien und Sekundärrohstoffe an Bedeutung. Allerdings bestehe andererseits die Gefahr, dass aufgrund des Rohstoffmangels und der hohen Preise Produktionen ins Ausland verlagert werden. Mit dem Bericht will das UBA eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vornehmen und bietet Handlungsoptionen für verschiedene Akteure.

Energie

Für den Umstieg von fossilen Rohstoffen auf Strom aus erneuerbaren Energien empfiehlt das UBA eine Erweiterung der bestehenden Fördermöglichkeiten. Dies könne etwa durch Klimaschutzverträge erfolgen. „Dazu bedarf es einer fossilfreien Energieumwandlung, Erhöhung der Energieeffizienz, Energieträgerwechsel sowie Energieeinsparung.“ Der Krieg in der Ukraine habe zu einer ungeplanten Änderung im Energieangebot geführt. Es werde sich eine Änderung der Qualität und Quantität der fossilen Rohstoffe ergeben.

Der russische Anteil am deutschen Gesamtsteinkohleverbrauch habe im vergangenen Jahr 50 Prozent betragen. Der von der EU beschlossene Importstopp werde zu deutlichen Umschichtungen auf dem Weltmarkt führen, so das UBA. Einige Unternehmen hätten bereits im März die Nutzung russischer Kohle reduziert. Zudem hätten sich bereits im vierten Quartal 2021 Lieferengpässe abgezeichnet. Daher hätten Kohleimporteure bereits ihre Bezugsländer diversifiziert. Für die Stahlindustrie sei eine Umstellung auf Steinkohle aus anderen Regionen oder auf andere Kohlenstoffträger eine geringe technische Herausforderung. Etwas problematischer sei dies bei der Energieerzeugung. Hier würde eine Änderung des Herkunftsgebietes auch eine Änderung der stofflichen Eigenschaften mit sich bringen. Dies betreffe etwa den Heizwert, die CO2-Emissionen sowie den Quecksilber- und Schwefelgehalt. „Anlagenbetreiber müssen bei einer Umstellung der Kohlesorte im laufenden Betrieb die Abgasreinigung entsprechend anpassen.“

Der Erdgasanteil aus Russland habe bis zu Beginn des Jahres bei etwa 50 Prozent gelegen. In der Industrie könne Erdgas kaum kurzfristig durch andere Energieträger ersetzt werden. Allerdings könnte durch besondere Anlagenfahrweisen Gas eingespart werden. In einigen Fällen sei auch eine übergangsweise Umstellung auf Heizöl möglich. Bei der Energieerzeugung könne Erdgas bis zu einem gewissen Grad substituiert oder sogar eingespart werden.

Der Anteil des Rohölaufkommens aus Russland habe 2021 etwa 33 Prozent betragen. Die Verteilung innerhalb Deutschlands sei aber regional sehr unterschiedlich, so dass vor allem die Raffinerien in Schwedt und Leuna betroffen seien. Die Versorgung könne zumindest teilweise auch anders sichergestellt werden. Allerdings weist das UBA darauf hin, dass Raffinerien relativ spezifisch auf bestimmte Rohölqualitäten ausgelegt sind. Ein Wechsel auf andere Qualitäten sei daher mit Modifikationen in der Anlage verbunden. Dies sei kurzfristig aber nicht zu realisieren.
Das UBA betont weiter, dass noch nicht in allen Branchen in vollem Umfang die Potenziale für einen effizienten Energieeinsatz umgesetzt sind. „Durch die rasche Einführung einer Energieeffizienzverordnung (EnEffV) kann der Bundesgesetzgeber Betreiber von genehmigungsbedürftigen Anlagen mittels Ordnungsrecht zur sparsamen und effizienten Verwendung von Energie durch Umsetzung wirtschaftlicher Energieeffizienzmaßnahmen nach dem verfügbaren Stand der Technik anhalten.“

Mineralische Rohstoffe

Neben den fossilen Rohstoffen habe der Krieg in der Ukraine auch Auswirkungen auf mineralische Rohstoffe. Metalle und Minerale aus Russland seien für die EU aber nicht annähernd so relevant wie russisches Gas und Öl. Dennoch könne es bei einem vollständigen Stopp der Importe kurzfristig zu Verknappungen und starken Preiserhöhungen kommen. Knappheit gebe es derzeit vor allem bei Baumaterialien. Betroffen seien aber auch wichtige Rohstoffe der Energiewende und Elektromobilität. Dies gelte vor allem für Aluminium und Nickel, aber auch für Palladium, Vanadium und Wolfram. „Knappheiten bei importierten Rohstoffen und damit verbundene Preissteigerungen, zum Teil auch Preissprünge, machen das Recycling der sich bereits in Deutschland befindlichen Sekundärmaterialien, insbesondere Abfallrohstoffe, attraktiv“, so das UBA. So bestehe etwa die Gelegenheit, die Zirkularität vor allem bei Bauabfällen ernsthaft voranzutreiben.

Da allerdings kurzfristig die benötigten Mengen nicht gedeckt werden können, sei eine Diversifizierung der Rohstofflieferquellen unerlässlich. Dabei müssten allerdings die Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Lieferanten sollten daher nicht alleine nach Verfügbarkeit und Preis ausgewählt werden, sondern auch unter Berücksichtigung von Ökologie, Governance und Effizienz. „Nur so kann Deutschland die notwendige Diversifizierung der Rohstoffbezüge für die deutsche Industrie auch langfristig sicher und nachhaltig gestalten, ohne mittelfristig erneut nach neuen Lösungen suchen zu müssen.“

Die Kreislaufführung von Materialien und Stoffen sei nach der Senkung des Rohstoffverbrauchs eine Grundvoraussetzung für die Schonung von Primärrohstoffen. „Das Recycling leistet damit einen Beitrag zur Verringerung der Abhängigkeit von Rohstoffimporten beispielsweise aus Russland und sollte von allen relevanten Akteuren – Unternehmen, Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Gesetzgeber – gestärkt werden.“ Dies betreffe sowohl mineralische Rohstoffe wie Nickel und Kupfer als auch biogene Rohstoffe und fossile Rohstoffe für die Kunststoffproduktion. Gleichzeitig werde mit dem Recycling der Bedarf an fossilen Roh- und Brennstoffen gesenkt. „Es gibt in Deutschland viele erschließbare Recyclingpotenziale, insbesondere was die Gewinnung hochwertiger Rezyklate betrifft, die materialgleiche Neuware ersetzen. Nur dies kann auch tatsächlich eine Verringerung des jeweiligen Primärrohstoffbedarfes erreichen und ermöglicht auch mittel- und langfristig eine (mehrfache) Kreislaufführung“, betont das UBA. Konkret schlägt das UBA vor, das inländische Potenzial für Sekundärrohstoffe aus dem anthropogenen Lager besser zu nutzen. So sei Deutschland etwa Nettoexporteur von Schrotten und Altkunststoffen. Diese würden zum Teil immer noch in Länder mit niedrigeren Umweltstandards exportiert. „Ein verstärktes hochwertiges Recycling dieser Abfälle in Deutschland bzw. der EU hätte neben dem Aspekt der Versorgungsicherheit daher auch positive Umweltwirkungen.“ Auch bei der Getrennterfassung besteht nach Auffassung des UBA noch Potenzial. Dies betreffe vor allem den Baubereich und Elektroaltgeräte. Der Ausbau von Sortier- und Recyclingkapazitäten sollte gefördert werden. Dies könne durch Digitalisierung, Fördergelder sowie durch die Einführung qualitativer Recycling­anforderungen zur Erweiterung der quantitativen Recyclingquoten erfolgen. Zudem sollte der Rezyklateinsatz durch Vorgaben von Rezyklateinsatzquoten und -qualitäten und eine Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit von Rezyklaten gegenüber Primärrohstoffen durch ökonomische Instrumente gefördert werden. Als weitere wichtige Aspekte nennt das UBA eine kreislauffähige Produktgestaltung und die Informationsbereitstellung über den Lebenszyklus, etwa durch einen Produktpass. „Die Produzenten und Hersteller müssen somit als Schlüsselakteure zum Gelingen einer zirkulären Ökonomie mehr Verantwortung übernehmen, da ihre Entscheidungen auf alle Lebenszyklusabschnitte Einfluss haben. Sie sollten nun endlich auch in ihrem ureigensten Interesse der Rohstoffsicherheit Abfälle und Altprodukte nicht nur als Kostenfaktor, sondern als die Rohstoffquelle von morgen ansehen“, so das UBA.

Das UBA weist weiter darauf hin, dass mit Recycling alleine der Rohstoffbedarf nicht gedeckt werden kann. Daher müsse der Rohstoffbedarf auch absolut reduziert werden. Dies könne unter anderem durch eine Verlängerung der Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten, Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit und Abfallvermeidung erreicht werden. Daher fordert das UBA auch die bundesgesetzliche Verankerung von verbindlichen abfallstrom- beziehungsweise produktgruppenspezifischen Zielen für die Abfallvermeidung und Vorbereitung zur Wiederverwendung. Dadurch wären alle Akteure der Wertschöpfungskette gezwungen, die ersten beiden Stufen der Abfallhierarchie stärker in den Blick zu nehmen.

Das UBA weist auch explizit auf die Bedeutung von Abfallbehandlungsanlagen für die Entsorgungssicherheit hin. Auch hier könne es vor allem bei thermischen und mechanisch-biologischen Behandlungsanlagen zu Engpässen bei der Versorgung mit Erdgas und anderen Betriebsmitteln. Eine Zwischenlagerung der Abfälle sei nur begrenzt möglich. Daher müsse sichergestellt werden, dass die Bedeutung der Anlagen bei einer möglichen Abschaltreihenfolge berücksichtigt wird.

Zur aktuelle Ausgabe

Kommentar schreiben

Please enter your comment!
Please enter your name here

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.