Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „In einzelnen Branchen kaufen große Unternehmen in großer Zahl kleine Unternehmen auf, ohne dass das Bundeskartellamt dies prüfen kann. Dies führt zu einem fortschreitenden Konzentrationsprozess, der der Kontrolle des Bundeskartellamtes entzogen ist. Wir fürchten, dass dies bei den zahlreichen Aufkäufen durch Rethmann/Remondis in der Entsorgungsbranche der Fall ist. Der Gesetzgeber hat uns genau für diesen Fall die Möglichkeit gegeben, auch kleine Übernahmen zu überprüfen. Voraussetzung hierfür ist eine spezielle Sektoruntersuchung, die wir jetzt mit Blick auf die Entsorgungswirtschaft und die spezifische Marktposition der Rethmann-Gruppe einleiten.“
Grundsätzlich greift die Fusionskontrolle erst, wenn die beteiligten Unternehmen bestimmte Mindestumsätze erzielen, also eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung gegeben ist. Die neue Vorschrift des § 39a GWB, die mit Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle seit Anfang 2021 gilt, erlaubt es dem Bundeskartellamt, Unternehmen dazu zu verpflichten, auch Übernahmen von kleineren Unternehmen, d.h. unterhalb der normal geltenden Umsatzschwellen, in bestimmten Wirtschaftszweigen anzumelden.
Voraussetzung für die Anwendung der neuen Vorschrift ist, dass der Erwerber einen bundesweiten Anteil von mehr als 15 Prozent der Umsätze in den betroffenen Wirtschaftszweigen erreicht, das Zielunternehmen im letzten Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mindestens zwei Mio. Euro und mindestens zwei Drittel der Gesamtumsätze in Deutschland erzielt hat sowie objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Inland erheblich behindert werden könnte. Eine derartige Verpflichtung, die zunächst für drei Jahre gilt, setzt außerdem voraus, dass das Bundeskartellamt auf einem der betroffenen Wirtschaftszweige zuvor eine aktuelle Sektoruntersuchung durchgeführt hat. Eine solche hat das Bundeskartellamt nun im Bereich Haushaltsabfälle eingeleitet.
Die jetzige Untersuchung soll die bereits vorliegenden Erkenntnisse des Amtes aus der am 21. Dezember 2021 veröffentlichten Sektoruntersuchung Haushaltsabfälle (siehe Pressemitteilung vom 21. Dezember 2021) sowie Ermittlungen aus verschiedenen Zusammenschlussvorhaben der letzten Jahre in Teilen aktualisieren und bezüglich der Voraussetzungen des § 39a GWB konkretisieren.
Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass vor allem bei der Erfassung verschiedener Sorten von Haushaltsabfällen sowie der Aufbereitung von haushaltsnahen Verpackungen aus Glas die Rethmann-Gruppe bundesweit mit weitem Abstand vor ihren jeweiligen Wettbewerbern zu den marktführenden Anbietern gehört. Insbesondere bei der Erfassung von Haushaltsabfällen hat die Anzahl der Wettbewerber in den Jahren 2014 bis 2018 kontinuierlich abgenommen. In diesem Zeitraum ist es keinem Wettbewerber gelungen, den Abstand zum Marktführer in nennenswertem Umfang aufzuholen.
Andreas Mundt: „Gerade der Entsorgungsbereich ist geprägt von regionalen Märkten, auf denen die Kommunen als Marktgegenseite oft wenig Auswahl haben. Wenn Stück für Stück kleinere Wettbewerber, zumeist sind es mittelständische Unternehmen, kontrollfrei aufgekauft werden, kann das in der Gesamtheit ein strukturelles Wettbewerbsproblem sein. Wenn sich ein Unternehmen eine Vormachtstellung erkaufen kann, wird Marktmacht zementiert. Dem müssen wir mit konsequenter Fusionskontrolle entgegentreten.“
Das Amt wird nun zunächst die 15 wichtigsten Wettbewerber in den Bereichen Haushaltsmüll, Restmüll, Biomüll und PPK (Papier, Pappe, Karton) befragen. Außerdem nimmt das Amt die Bereiche Verpackung und Glasaufbereitung in den Blick.