Herr Forster, Glückwunsch zur Wahl als Präsident des mitgliederstärksten Entsorgerverbandes Europas. Wie fühlen Sie sich damit?
Vielen Dank. Nun, ich gebe zu, dass ich schon ein wenig stolz darauf bin, dass mir so viele Mitglieder zur Kandidatur geraten haben und ich dann auch gewählt worden bin.
Hatten Sie Zweifel daran?
Wir sind ein Verband mit vielen kritischen Unternehmerinnen und Unternehmern. Ich bin angestellter Geschäftsführer – da ist sowas kein Automatismus. Ich habe keinen Wahlkampf betrieben, absichtlich keine Stimmen gesammelt und niemanden angerufen. So fehlte mir ein wenig das Stimmungsbild. Ich wollte als Persönlichkeit mit Sachverstand gewählt werden – nicht als guter Wahlkämpfer.
Sehen Sie es als Nachteil an, kein selbstständiger Unternehmer zu sein?
Nein. Ich arbeite seit 27 Jahren in der Abfallwirtschaft und habe täglich Unternehmertum bei der Nehlsen AG und der Hörger-Holding (als Geschäftsführer der GOA) erlebt. Dieser Mut, das Einstehen für Entscheidungen, das Vorleben von Fleiß und Engagement haben mich sehr geprägt. Beide sind sehr innovative Familienunternehmen und sehr breit aufgestellt.
Ich sehe sogar eher einen kleinen Vorteil. Man ist weniger patriarchisch und unangreifbar eingestellt. Dies kann dazu führen, einen Verband diplomatischer, moderater und vor allem gemeinsam in einem Team zu führen.
Sie sind ja auch nicht ganz neu im Verband.
Das stimmt und war sicher auch ein Beweggrund für viele. Ich habe schon im Ausschuss Logistik & Technik und im Fachverband Ersatzbrennstoffe, Altholz und Biogene Abfälle mitgearbeitet, leite seit vielen Jahren den Kreislaufwirtschaftsausschuss, bin im Vorstand des Fachverbandes Papierrecycling und als Schatzmeister im geschäftsführenden Präsidium tätig gewesen. Alle Ämter gebe ich ab.
Welche großen Herausforderungen sehen Sie in den nächsten Jahren?
Der Mittelstand wird mehr und mehr zwischen großen Kräften unter Druck geraten. Ob große Entsorgungskonzerne, duale Systeme, Handel, Industrie oder Kommunalwirtschaft. Wir werden einen noch intensiveren Verteilungskampf um Rohstoffe, Zuständigkeiten und Dienstleistungen erleben. Wir müssen erkennen, welche Vorteile wir haben und welche Nachteile uns behindern. Vorteilhaft ist, dass wir meistens regional stark verankert sind, schnell und unbürokratisch reagieren können, unsere Overheadkosten limitieren und langfristig denken. Die nachhaltige Unternehmensentwicklung muss nicht der kurzfristigen hohen Renditeerwartung unterworfen werden.
Nachteilig ist, dass wir auch sämtliche Prozesse abbilden müssen wie Großkonzerne. Ob IT-Ausstattung, Behälterbeschaffung, Warenwirtschaftssysteme, Abfallrecht, Personalbeschaffung und Entwicklung usw. Diese Kosten mit dem dafür notwendigen Personal schlagen bei kleineren Unternehmen stärker durch. Viele Unternehmen haben sich auf bestimmte Dienstleistungen und Rohstoffe konzentriert. Auch dies birgt Risiken in unbeherrschbaren Märkten.
Grundsätzlich wird es existenziell sein, Partnerschaften zu bilden. Dazu muss man über seinen Schatten springen. Warum beauftragen 20 Unternehmen eine EDV-Firma und besitzen sie nicht? Warum machen wir uns über Generationen abhängig von fremden Müllheizkraftwerken? Es gibt schon viele gute Ansätze für solche Partnerschaften. Ich persönlich glaube, dass es für Alleinkämpfer schwer wird.
Können Sie Beispiele für solche Marktentwicklungen beschreiben?
Nehmen wir das Beispiel Kunststoffe. Auf europäischer Ebene wird die Abfallverbringungsverordnung finalisiert. Es ist zu befürchten, dass der Export aufgrund unserer eigenen Gesetze dauerhaft zum Erliegen kommt oder zumindest stark eingeschränkt wird. Gleichzeitig fordern wir Einsatzquoten von Recyclingkunststoffen bei der Beschaffung der öffentlichen Hand und durch das produzierende Gewerbe. Daraus wird ein gigantischer Nachfragesog entstehen. Wir reden dann nicht mehr von tausenden, sondern von hunderttausenden Tonnen hochwertiger, standardisierter Vorprodukte. Wir sollten nicht glauben, dass sich großindustrielle Abnehmer in der Beschaffung von vielen kleinen Unternehmen und ihren individuellen Aufbereitungsverfahren abhängig machen. Man wird die Prozessketten schließen und sich die Abfälle schon bei der Entstehung, spätestens in der Erfassung sichern.
Ähnliches sehe ich im Altpapier. Die Papierindustrie bietet – wie gerade geschehen – keine Garantiegeberschaft an, weil das Altpapier sonst im Müllheizkraftwerk landen würde, denn im Grunde bietet der Mittelstand ja seit Jahrzehnten eine Garantie für eine hochwertige Erfassung und Verwertung. Es geht der Industrie darum, Prozessketten mit Beginn der kommunalen Sammlung zu beherrschen und Marktteilnehmer auszusortieren. Ohne Exportmöglichkeit entsteht so ein geschlossener Markt, in dem man die Abnahmepreise und die Mengen in den Griff bekommen kann.
Vergleichbare Entwicklungen gibt es auch im Metallbereich und anderen Stoffströmen. Wir werden sehen, ob uns die „End-of-Waste-Diskussion“ dabei gut tut. Deshalb müssen wir dies genau beobachten und uns stark einbringen.
Welche Veränderungen sehen Sie in Zukunft für die mittelständische Arbeit?
Nun, viele Veränderungen sind ja im vollen Gang. Kleine und mittelständische Unternehmen werden von großen Konzernen übernommen – oft unter dem Radar von Kartellbehörden. Die Digitalisierung wird die innerbetrieblichen Prozesse für die Abnehmer in Echtzeit transparent machen – ein Autobauer wird sicher keine Ballen überprüfen oder sich auf eine DS-Spezifikation verlassen, wenn er gesetzliche Quoten in seinen Kunststoffbauteilen einhalten muss. Rohstoffe werden in digitalen Börsen gehandelt werden. Handel und Inverkehrbringer werden Kreisläufe schließen. Warum sollte ein Hersteller einer Waschmaschine diese nicht zurücknehmen wollen? Sie ist voller Rohstoffe. Wahrscheinlich wird er sie in Zukunft gar nicht mehr verkaufen, sondern nur noch zur Nutzung überlassen.
Es ist absurd zu glauben, dass in einer urbanen Welt in 20 oder 30 Jahren noch gelbe Säcke durch Städte fliegen oder die Bürgerinnen und Bürger ein Handbuch brauchen, um recycelbare Verpackungen von stoffgleichen Nichtverpackungen zu unterscheiden.
Das Thema Verpackungsgesetz war ja auch Thema der bvse-Jahrestagung. Wo setzen Sie mit Ihrer Kritik an?
Die Abfallwirtschaft hat sich teilweise verrannt, wenn nur noch Profis ein Verpackungsgesetz mit den Auswirkungen auf Quoten, Recyclingfähigkeit, Lizenzen, die Aufgabe von gemeinsamen Stellen konkurrierender Großkonzerne beziehungsweise deren duale Ableger verstehen.
Wir wollten mit der Einführung der getrennten Verpackungserfassung vor fast 30 Jahren gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern eine Lenkungswirkung entfalten, weniger Verpackungen zu verbrauchen und umweltschonender zu leben. Herausgekommen ist ein Bürokratiemonster. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Zukunft hat. Wenn wir als Branche glaubhaft sein wollen, muss man uns verstehen.
Wenn duale Systeme die Beteiligung an Systemkosten für Glas-Unterflurbehälter mit Berufung auf ein deutsches Verpackungsgesetzt verweigern dürfen und damit modernen Städtebau behindern, ist das für den kommunalen Stadtplaner unbegreiflich. Halb Europa beseitigt mit Unterflursystemen die innerstädtischen Dreckecken und wir verzetteln uns in falschen Zuständigkeiten.
Uns ist es zumindest gelungen, die Übernahme des seinerzeit größten dualen Systems durch den größten Entsorger zu verhindern. Das war harte Arbeit eines hochmotivierten Teams um Eric Rehbock.
Was kann der Verband für seine Mitglieder tun?
Der Verband kann und muss für die Mitglieder bei diesen enormen Veränderungen einen Rückhalt bilden. Wir müssen die Interessenvertretung des Mittelstandes sein. Die großen Entsorger werden sich mittelfristig mit der Industrie ins Bett legen. Wenn zum Beispiel der Ruf nach chemischen Recycling noch lauter und dieser politisch in der Wertigkeit dem werkstofflichen Recycling gleichgestellt wird, entstehen Prozessketten, die auch große Entsorger schlucken.
Wir müssen versuchen, noch mehr Unternehmen davon zu überzeugen, in unserem Verband mitzuwirken, sich ehrenamtlich einzubringen und so ihre eigene Zukunft in Berlin und Brüssel mitzugestalten.
Es wird eine neue Achse aus Handel, Entsorgungskonzernen, dualen Systemen und Industrie entstehen. Die Markteilnehmer werden sich untereinander konsolidieren und neue, noch größere Einheiten und Marktmächte schaffen. Dies kann nicht im Interesse des Mittelstandes sein.
Auch die Kommunen und Verwerter, wie Papierfabriken, können daran kein Interesse haben. Ich wage sogar zu bezweifeln, dass alle mittleren und größeren Entsorger dies unkritisch sehen. Die alten Seeleute meiner Heimat haben immer gesagt: „Wenn Du mit Schwindel aufwachst, bist Du im besten Fall betrunken und im schlimmsten Fall im Strudel Deines untergehenden Schiffes“.
Der Verband kann bei den beschriebenen Herausforderungen unterstützen und helfen, Unternehmen zu Partnern mit gleichen Ideen und Visionen zu machen.
Muss sich der bvse selbst dafür verändern?
Absolut ja. Wir müssen selbstkritischer werden, uns von altem Denken trennen, ohne Bewährtes zu opfern, die schlagkräftige Geschäftsstelle mit weiterem Know-how ausstatten und uns verjüngen.
Wir müssen aufhören uns zu sagen, wie gut wir sind, sondern visionärer und kreativer sein – eigentlich urtypische Unternehmerqualitäten.
Ich möchte diese Aufgabe nicht allein im Präsidium sehen, sondern möglichst viele für den bvse begeistern. Stellen wir uns einen noch viel größeren Mittelstandsverband mit einer machtvollen Stimme vor. Der Mittelstand ist noch viel zu zersplittert in Europa. Wenn unsere Stimme in Brüssel ankommen soll – da wo die Gesetze entstehen – brauchen wir noch mehr Qualität und noch mehr Quantität.
Dafür müssen wir aber auch richtig gut sein. Unsere jetzigen und künftigen Mitglieder haben keine Beiträge zu verschenken und sind auch nicht nur noch aus Tradition bei uns. Das soll es ja auch geben.
Also sind Sie bei allen beschriebenen Risiken eher optimistisch?
Natürlich – es liegt in unserer Hand – und immer, wenn man es selbst in der Hand hat, gibt es viele Möglichkeiten. Der Tante-Emma-Laden ist ja nicht ausgestorben, weil Tante Emma eine schlechte Händlerin war. Sie war halt allein.
Was ich damit sagen will – die Zukunft wird ganz anders sein als die Gegenwart. Wir müssen modern denken, um anderen voraus zu sein, um unser Morgen zu gestalten, statt immer nur zu reagieren.
Der Mittelstand hat riesige Chancen, wenn er sich gemeinsam mit diesen Themen auseinandersetzt und Antworten in der Schublade hat.
Der Mittelstand hat ein Recht auf einen optimistischen, zukunftsdenkenden Verband. Wir sind in der Pflicht, unseren Mitgliedsunternehmen genau den zu bieten.
Wir werden die Segel setzen…