Interview zur Kreislaufwirtschaft in Deutschland

Hilft Recycling gegen Ressourcenknappheit? Ein Interview mit Eric Rehbock vom bvse über die Bedeutung von Gesetzesänderungen, das Pandemiegeschehen und öffentliche nachhaltige Beschaffung.
Recyclingprodukte
Eric Rehbock, bvse

Vergangene Woche hat der Fachtag Nachhaltige Beschaffung wieder seine Türen geöffnet und Beschaffer*innen und Entscheider*innen aus Kommunen, privaten und öffentlichen Institutionen sowie Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Unternehmen aus Industrie und Handel Impulse dafür vermittelt, wie sich nachhaltiger Einkauf noch erfolgreicher gestalten lässt.

Ein möglicher Lösungsansatz: die Stärkung der Kreislaufwirtschaft und Nutzung von Sekundärrohstoffen, folglich recycelbaren, langlebigen und wiederverwendbaren Produkten und Materialien. In einem Interview aus Anlass des Fachtags spricht Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer des bvse, über die aktuellen Entwicklungen, Hürden sowie Zukunftsvisionen und darüber, welche wichtige Rolle die öffentliche Hand spielt.

Fachtag Nachhaltige Beschaffung: Ende Juli haben wir bereits den Erdüberlastungstag erreicht, sprich: unsere gesamten Ressourcen für 2021 aufgebraucht. Welche Rolle spielt die Pandemie Ihrer Meinung nach bei der aktuellen Entwicklung? Und wie können wir dem Prozess entgegenwirken?

Eric Rehbock: Die Pandemie hat die Rohstoffmärkte durcheinandergewirbelt und allen Wirtschaftsbeteiligten gezeigt, wie wichtig es ist, die heimischen Rohstoffe wertzuschätzen. Die Pandemie hat wie in einem Brennglas gezeigt, dass wir weg müssen von der linearen und hinkommen müssen zur Kreislaufwirtschaft. Zu den heimischen Rohstoffen gehören die Sekundärrohstoffe, die wir aus Abfällen gewinnen können. Hier sind die wichtigen Sekundärrohstoffe Altpapier, Altglas, Altkunststoffe, Stahl- und Metallschrotte und nicht zuletzt die Sekundärbaustoffe zu nennen. Je mehr wir die aus den Abfällen gewonnenen Ressourcen nutzen, desto besser können wir die natürlichen Ressourcen schonen und aktiv der Erdüberlastung entgegenwirken.

Als Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung vertreten Sie mittelständisch geprägte Unternehmen der Sekundärrohstoff-, Recycling- und Entsorgungswirtschaft. Wie gut funktioniert die Kreislaufwirtschaft in Deutschland?

Im internationalen und europäischen Vergleich kann sich die Kreislaufwirtschaft in Deutschland durchaus sehen lassen. Das kann aber nicht unser Anspruch sein. Entscheidend ist, ob wir Stoffstrom für Stoffstrom die Kreisläufe schließen können oder zumindest auf einem guten Weg dorthin sind. Das funktioniert bei Glas, Metall und Stahl sowie beim Altpapier schon sehr gut. Im Bereich Mineralik sind wir zwar auf einem guten Weg, aber da ist noch einiges Potenzial zu heben. Auch im Kunststoffbereich gibt es nicht nur schlechte Nachrichten. Wir haben hier in Deutschland eine gute Struktur innovativer Kunststoffrecyclingunternehmen. Aber wir haben in diesem Bereich auch noch einen weiten Weg vor uns, bis wir von einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sprechen können. Das muss allen Verantwortlichen klar sein. Und gerade deshalb braucht es einen ständigen fachlichen Austausch, um mit allen relevanten Stakeholdern gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.

Auf dem Fachtag Nachhaltige Beschaffung haben Sie einen Workshop zum Thema „Recyclate in der Beschaffung“ gehalten. Im Fokus stehen Rezyklate und Produkte aus dem Bereich der Bau- und Kunststoffbranche – Warum konzentrieren Sie sich gerade auf diese beiden Bereiche?

Mit einem Beschaffungsvolumen von über 350 Milliarden Euro im Jahr hat die öffentliche Hand einen entscheidenden Anteil an der Nachfrage nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen. Ob im Tief- und Straßen-, Haus- oder Gebäudebau oder der Verwaltung. Das Potenzial ist sehr hoch, aber immer noch ist eine zu große Zurückhaltung vorhanden, die qualitätsgesicherten Recyclingprodukte einzusetzen. Dabei bietet die deutsche Recyclingindustrie qualitativ ausgezeichnete Recyclingprodukte für die vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten. Unser Workshop soll nicht einfach eine Marketingaktion sein, sondern will die bestehenden Vorbehalte, ob rechtlicher oder technischer Natur, aufgreifen und ausräumen. Die hervorragende Beteiligung zeigt, dass das Interesse da ist. Das freut uns außerordentlich.

In Ihrem Beitrag betonen Sie zudem: Ambitionierte Recyclingquoten alleine reichen nicht. Was meinen Sie damit?

Kreislaufwirtschaft heißt nicht nur Abfälle zu sammeln, Sekundärrohstoffe zu generieren und dann Recyclingprodukte herzustellen. Um den Kreis zu schließen, müssen die Sekundärrohstoffe und Recyclingprodukte dann auch wieder eingesetzt werden. Hier hakt es momentan, insbesondere in den Bereichen Baustoff- und Kunststoffrecycling. Wenn wir dieses Problem anpacken und Lösungen finden, gibt es auch automatisch einen großen Anreiz, innovative Recyclinglösungen zu entwickeln, die die Substitution von Primärrohstoffen deutlich vorantreibt.

Welche Auswirkungen haben dahingehend Gesetze wie die Ersatzbaustoffverordnung oder das neue Verpackungsgesetz?

Es ist gut, dass die Ersatzbaustoffverordnung jetzt beschlossen wurde. Das war ein langer und intensiver Weg und auch auf den letzten Metern wurden noch Verbesserungen erreicht. Von daher ist das ein gutes politisches Signal, das da lautet: Die Verwendung von qualitätsgesicherten Recyclingbaustoffen ist gewollt. Entscheidend ist jetzt, was die Wirtschaftsbeteiligten daraus machen. Als bvse haben wir gemeinsam mit dem Zentralverband Deutsches Baugewerbe und dem Deutschen Abbruchverband ein Qualitätssicherungssystem bundesweit an den Start gebracht. Diese zertifizierte Qualitätssicherung von Sekundärbaustoffen gewährleistet die Konformität der hergestellten Baustoffe mit den geltenden bau- und umwelttechnischen Regelwerken und macht den Einsatz des Baustoffes für Endanwender denkbar einfach und rechtssicher!

Auch das Verpackungsgesetz halten wir für einen echten Fortschritt, weil nicht nur auf Recyclingquoten geachtet wird, sondern auch auf die Art und vor allem die Recyclingfähigkeit von Verpackungen. Als Recyclingbranche arbeiten wir in den Gremien der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister daran, dass die Verpackungen nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch recycelt werden können. Das geht sicher nicht von heute auf morgen, aber erstmals seit vielen Jahren spüren wir doch den Willen von Industrie und Herstellern, hier Fortschritte zu erzielen.

Sehen Sie uns in Deutschland für die Zukunft gut aufgestellt und woran müssen wir noch arbeiten?

Ich denke, wir müssen umdenken. Verbraucher, öffentliche Hand und Wirtschaft. Das betrifft unser Konsumverhalten und vielleicht auch unser Anspruchsdenken. Benötige ich wirklich jeden „Schnick-Schnack“ oder kommt es darauf an, dass ein Produkt in erster Linie seine Funktion erfüllt? Wir müssen aber vor allem bereit sein, in Kreisläufen zu denken. Neue Produkte müssen recyclingfähig sein. Wir müssen nicht mehr gebrauchsfähige Produkte so sammeln und aufbereiten, dass die enthaltenen Rohstoffe möglichst vollständig genutzt werden können. Und zum Schluss bedeutet das auch die Bereitschaft, Recyclingprodukte wertzuschätzen und zu erkennen, dass diese keine minderwertigen Lösungen darstellen, sondern im Gegenteil einen zusätzlichen, nachhaltigen und klimaschützenden Mehrwert erbringen.

Kommentar schreiben

Please enter your comment!
Please enter your name here

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.