Kreislaufgerechtes Bauen ist eine Grundlage für die Erreichung der CO2-Ziele. Ein effizienter Ansatz beim Schließen von Kreisläufen ist die Wiederverwendung (Re-Use) von Materialien und ganzen Bauteilen. Obwohl dies teilweise bereits in Bauprojekten umgesetzt wird, stellen sich beim Rückbau und der Wiederverwendung der Materialien eine Reihe von Fragen – etwa hinsichtlich Normen und Garantieleistungen.
Die Sprint-Einheit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und des Wasserforschungsinstituts des ETH-Bereichs (Eawag) konzentriert sich deshalb darauf, möglichst allgemeingültige Lösungen zu finden und damit die Wiederverwendung von Baumaterialien zu vereinfachen. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit verschiedener Akteure aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Hand. „Erstmals vereint die Empa den Ansatz der Wiederverwendung und die Marktanforderungen des schnellen und flexiblen Bauens. Mit der neuen Unit Sprint wollen wir zeigen, dass diese Bedürfnisse zusammen erfüllt werden können“, so Enrico Marchesi, Innovation Manager und Projektverantwortlicher seitens „Nest“.
Diese Tage findet der Spatenstich am Nest statt. Die Unit „Sprint“ wird auf der untersten Plattform des Nest-Gebäudes installiert und liefert COVID-konforme Büroräumlichkeiten. Die Fertigstellung der Einheit ist im Sommer vorgesehen.
Umdenken in der Planungsphase als Chance
Bereits in der Planungsphase der neuen Unit wurde besonderes Augenmerk auf den Re-Use-Prozess und seine Herausforderungen gelegt. So stellte sich am Anfang unter anderem die Frage, welchen Mehrwert wiederverwendetes Material bietet und ob es günstiger ist als Neumaterial. Oliver Seidel, Architekt und Partner bei Baubüro in situ AG Weiss: „Das Wiederverwenden von Materialien wird oft mit tieferen Kosten assoziiert. Doch der Mehrwert liegt in einem anderen Bereich: Re-Use ist nachhaltiger. Und in puncto Qualität gibt es keine Einbussen. Im Gegenteil: Je nach Material kann man sogar von einem Qualitätszuwachs sprechen, zum Beispiel bei einem alten Holzparkettboden, der eine zusätzliche ästhetische Komponente erhält.“
Die Vorteile beim Planen eines Rückbaus und des Wiederverwendens der Materialien liegen auf der Hand: Dadurch, dass die Detailstudie bereits im Vorprojekt – also früher als nach den standardmäßigen Planungsphasen – beachtet werden muss, wird der Bauprozess dynamischer und zeitlich flexibler. So kann beispielsweise parallel das Vorhaben definiert und gleichzeitig gebrauchte Materialien gesucht und auf ihre Einsatzfähigkeit geprüft werden.
Design for Disassembly als Grundlage für Re-Use
Die Sprint-Einheit folgt dem Design-for-Disassembly-Ansatz. Darunter versteht man ein Design, das bereits den Rückbau mitberücksichtigt, und eine Bauweise, die zukünftige Änderungen und Demontagen zur Rückgewinnung von Systemen, Komponenten und Materialien erleichtert und so sicherstellt, dass Gebäude am Ende ihrer Lebensdauer so effizient wie möglich in einen weiteren Zyklus überführt werden können. Nicht alle heute verbauten Gebäudekomponenten und Materialien lassen sich einfach rückbauen. Industriebauten eignen sich aufgrund ihrer einfachen Bauart besser für den Rückbau als beispielsweise Wohnbauten. „Umso wichtiger ist es, dass wir die heutigen Gebäude so bauen, dass deren Bestandteile wieder in Kreisläufe zurückgeführt werden können“, betont Kerstin Müller, Architektin, Geschäftsleitungsmitglied bei Baubüro in Situ und Geschäftsführerin der Zirkular GmbH. Sie sieht im Re-Use auch eine Chance für die Wertschöpfungs- und Lieferketten: Beim Wiederverwenden von Bauteilen und Materialien können lokal Arbeitsplätze geschaffen und ökologische wie baukulturelle Werte erhalten werden.
Während des Baus und der späteren Nutzung von Sprint werden die Chancen und Herausforderungen des Re-Use-Prozesses fortlaufend dokumentiert und zusammengestellt – mit dem Ziel, Re-Use als Bauweise markttauglicher zu machen. Weitere Informationen zu den verschiedenen Innovationsprozessen werden laufend auf der Sprint-Website verfügbar gemacht.