In enger Kooperation mit der technischen Universität Chemnitz sei mit der Machbarkeitsstudie eine solide Basis für die weitere Entwicklung eines sinnvollen, ökologischen und ökonomischen Reifenkreislaufs geschaffen worden.
Im Vordergrund der Studie von Dr.-Ing. Stefan Hoyer, tätig am Institut für Strukturleichtbau der Technischen Universität Chemnitz, steet die Analyse des Ist-Zustands der Entsorgung von Altreifen und möglicher neuer Nutzungsperspektiven. Eine umfassende Zusammenstellung relevanter Daten und Zusammenhänge schafften mehr Transparenz im Markt des Altreifen-Recyclings. Mit diesem Wissen sollen nun die Türen für neue Geschäftsmodelle erfolgreich geöffnet werden. Im Rahmen der geplanten Abschlussveranstaltung des Förderprogramms am 19. Mai werde die Machbarkeitsstudie auch für die Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Durch den drastischen Rückgang der energetischen Verwertung von Altreifen in Zementwerken, regulatorischen Hürden, mangelnder Akzeptanz von Recycling-Produkten, hervorgerufen durch die kaum objektiv fassbare Schadstoffdiskussion, ein niedriges Preisniveau der Rohstoffmärkte und Umverteilungsdefizite von Entsorgungsgebühren sei die Gesamtsituation im Altreifenmarkt prekär. Diese Defizite trügen erheblich dazu bei, dass Altreifen nach wie vor in großen Mengen illegal abgelagert werden. Auch die Entsorgungskosten und der Export stiegen weiter an.
„Die aktuelle Situation erlaubt keine exakte Bilanzierung des Altreifenaufkommens. Es bestehen nur Registerpflichten für die Entsorgungsunternehmen, welche die Zahlen nur auf gesondertes Verlangen der zuständigen Behörde vorlegen müssen. Entsprechend finden alle den Entsorgern vor- und nachgelagerten Handlungen mit Altreifen generell unbilanziert statt“, fasst Dr.-Ing. Stefan Hoyer zusammen. Die verfügbaren Daten erlaubten selbst bei größter Sorgfalt keine genaue Berechnung des Altreifenaufkommens oder gar der einzelnen Entsorgungswege.
Vor allem bei Umrechnung der Zahlen des Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) zum Neureifengeschäft von Stück in Masse beeinflussten die verwendeten Umrechnungsfaktoren das Ergebnis sehr stark. Weiterhin könnten und würden nicht alle Stoffströme erfasst, genauso wie eine teilweise Doppelerfassung bei verschiedenen Verwertungsschritten grundsätzlich möglich sei.
An dieser Stelle sieht Hoyer Optimierungspotential: „Zur Verbesserung der Genauigkeit dieses Berechnungsmodells sollte geprüft werden, ob die Ermittlung aktueller mittlerer Altreifengewichte verschiedener Reifensorten zweckmäßig wäre.“ Ebenfalls seien die Register- und Meldepflichten schon ab der Altreifenannahmestelle notwendig, um ein genaueres Bild über das Altreifenaufkommen zu erhalten oder illegale Ablagerungen rückverfolgen zu können. Dies sei jedoch rechtlich nicht ohne weiteres möglich. Deshalb sei auch die Politik gefragt, Ordnung in die Bilanzierung des Altreifenvorkommens zu bringen.
Unklarheit über die zukünftige Entwicklung der Regelungen
Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die im Reifen praktisch immer enthalten sind und heute überwiegend von dem wichtigen Füllstoff Ruß stammen, sind krebserregend und umweltschädlich – jedoch nur dann, wenn sie auch austreten und bioverfügbar werden! Laut Hoyer weisen internationale Studien und auch seine eigenen Messungen allerdings darauf hin, dass es kaum zu einem Austritt kommt. Die tatsächliche Freisetzung, in Form von Migration oder Emission, liege meist weit unter relevanten Grenzwerten. Tatsächlich könnte man sich fast mehr Gedanken um das Steak vom Holzkohlegrill machen, denn auch hier entstünden Unmengen an PAK, die beim Essen in den Körper gelangen. Dennoch sei bis heute der reine PAK-Gehalt das Maß der Dinge. Und ob dieser Grenzwert eigehalten wird, sei oft nur eine Frage des Messverfahrens. Die weitere Entwicklung sei nicht vollständig abzusehen und könnte im schlimmsten Fall die Altreifenverwertung weiter unter Druck setzen. Würden jedoch praxisrelevante Methoden wie Emission oder Migration herangezogen, sei anzunehmen, dass die Unklarheit über den PAK-Gehalt bald beendet wäre.
Reifen enthalten aber eine unüberschaubare Zahl an weiteren Stoffen. Somit bestehen auch hier potentielle Risiken im Hinblick auf zukünftige Regelungen. Vor allem hohe Temperaturen (> 180 °C) oder Verformungen sowie der Austrag durch Wasser oder Staub bei der Rezyklierung seien potentielle Themen, die von der Branche präventiv angegangen werden sollten. Daher sollten Interessen und Kompetenzen gebündelt werden, auch aus Politik und Forschung, um Hemmnisse und Vorurteile zum Thema Schadstoffe abzubauen. Denkbar wäre nach Auffassung der ZARE auch die Einführung eines Qualitätslabels für Betriebe mit ausschließlich ordnungsgemäßer Entsorgung. Am Ende sei es jedoch vor allem die Planungssicherheit von Entsorgern und Verwertern, die durch die aktuelle Situation langfristig belastet wird und viele Investitionen und Entwicklungen hemmt.
Die Runderneuerung biete viel Potential. Know-how zu Silika-Mischungen sowie Multicompound-Laufflächen in Kombination mit einem objektiven Qualitätsvergleich mit Neureifen, etwa durch ein Reifenlabel, wären zentrale Themen zur Steigerung der Akzeptanz. Daneben könnten die Maximierung des Automatisierungsgrads, die konstruktive Optimierung der Karkassen im Hinblick auf die Runderneuerungsfähigkeit sowie deren bessere Sortierung bei den Altreifen gute Möglichkeiten sein, auch die technischen und ökonomischen Hürden zu senken.
Die Verbrennung von Altreifen in Zementwerken sei zunehmend rückläufig, die Kosten seien verhältnismäßig hoch. Dies sei eigentlich unverständlich, denn energetisch gesehen hätten Reifen im Vergleich zu Erdgas oder Holz einen Gegenwert von 300 € pro Tonne. Die Menge schrumpfe vor allem deshalb, da neue Öfen mit Kalzinator Einzug halten. Diese könnten Reifen nur noch dann verbrennen, wenn sie etwa auf 2,5 Zentimeter vorzerkleinert bzw. flugfähig gemacht wurden. Aber selbst dann würden die Altreifen verstärkt im Wettbewerb mit anderen Ersatzbrennstoffen stehen. Intensive Abstimmung mit der Branche sowie ggf. gezielte Versuchsreihen zur Identifikation der optimalen Vorzerkleinerung wären hier relevant, um technisch notwendige Kapazitäten zur Verbrennung zu finanziell tragbaren Konditionen aufrecht zu erhalten. Denkbar sei auch die gezielte Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zur energetischen Verwertung, zum Beispiel in Blockheizkraftwerken.
Im Straßenbau könnten Altreifen mit vielen positiven Effekten eingesetzt werden. Viele technische Probleme, wie Einbautemperaturen oder Förder- und Lagerverhalten, seien bereits gelöst. Der Markt in Deutschland wurde mit maximal 50.000 Tonnen jährlich abgeschätzt, bedarf jedoch entsprechender Regelwerke als Grundlage für Ausschreibungen, um auch zugänglich zu werden. Auch das Recycling von Altreifen zu neuen Rezyklatprodukten biete ein breites Spektrum an Optionen und Wachstumsmöglichkeiten. Es würden eine Vielzahl von möglichen Werkstoffkombinationen erörtert und bewertet. Der Aufbau einer Werkstoffdatenbank für mögliche Werkstoffkombinationen könnte hier als Grundlage zur Evaluation neuer Anwendungsfelder dienen.