Um Spurenstoffen wie Arzneimittelrückstände, Haushaltschemikalien oder Röntgenkontrastmittel zu begegnen, werden Kläranlagen zunehmend mit einer weiteren Reinigungsstufe nachgerüstet, die diese entfernen soll. Neben chemisch-oxidativen Maßnahmen, bei denen problematische Beiprodukte entstehen können, wird hierbei vor allem auf Aktivkohlen gesetzt. Diese haben wegen ihrer porösen Grundstruktur eine enorm große innere Oberfläche – schon bei vier Gramm Aktivkohle entspricht sie in etwa der Fläche eines Fußballfeldes – und können andere Stoffe in Abhängigkeit von deren Ladung adsorbieren, also ähnlich wie ein Schwamm in sich aufsaugen.
Stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten
Doch obwohl Spurenstoffe so in der Regel wirksam aus dem Ablauf entfernt werden können, hat das Verfahren in der Praxis häufig einen Haken, erklärt Ilka Gehrke, Abteilungsleiterin Umwelt und Ressourcennutzung am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Fraunhofer Umsicht) in Oberhausen: „Bisher wird meist pulvrige Aktivkohle eingesetzt. Sobald diese voll beladen ist und keine Stoffe mehr adsorbieren kann, wird sie schlichtweg verbrannt. Unter Nachhaltigkeitsaspekten ist das sehr problematisch, zumal Aktivkohle häufig aus nicht-nachwachsenden Rohstoffen, nämlich ganz normaler Steinkohle, hergestellt wird.“
Forschende des Fraunhofer Umsicht haben es sich daher in Zusammenarbeit mit mehreren Industriepartnern im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt Zero Trace zum Ziel gesetzt, den Einsatz von Aktivkohlen zur Beseitigung von Spurenstoffen im Abwasser zu optimieren und haben hierfür einen ganzheitlichen Ansatz entwickelt. Begleitet wurde der Prozess durch Forschung im Innovations- und Ressourcenmanagement, die es ermöglichte, sozio-ökonomische sowie ökologische Innovationstreiber und -bremser von Anfang an mit zu berücksichtigen.
Als Ausgangsstoff für ihr Verfahren setzen Gehrke und ihr Team auf Aktivkohlen aus nachwachsenden Materialien wie Holz oder Kokosnuss in granulierter Form. Derartige Pellets können im Gegensatz zu Aktivkohlepulver bei sehr hohen Temperaturen reaktiviert, dadurch von den adsorbierten Stoffen befreit und wiederverwendet werden. Derzeit müssen die Aktivkohlen hierfür jedoch meist erst weit transportiert werden und weil sich die Kohlen beim Durchmischen im Wirbelbett gegenseitig abreiben, gibt es hohe Materialverluste.
Von der passenden Regenerationsmethode zum benötigten Ausgangsprodukt
Ziel der Forschenden war es daher ein Regenerationsverfahren zu entwickeln, das direkt vor Ort am jeweiligen Kläranlagengelände durchgeführt werden kann. „Hierfür nutzen wir die physikalische Wirkung von elektrischen Feldern aus“, erklärt Gehrke. „Diesen Gedanken hatten vor uns bereits andere für den Bereich der Gasreinigung und viele dieser Grundlagen konnten wir für unser Vorhaben auf den Flüssigbereich übertragen. Zu der Zeit waren elektrisch betriebene Verfahren aber sehr teuer und derartige Forschungsprojekte wurden nicht weiter verfolgt. Heute dagegen werden wir uns zunehmend den fluktuierenden Stromanfall von regenerativen Energien zunutze machen können. Hier wird in Zukunft erwartet, dass bei Stromspitzen Strom zu niedrigen Kosten verfügbar ist.“
Die Idee hinter dem neuen Verfahren, basierend auf der sogenannten Electric Field Swing Adsorption (EFSA), ist es, die Kohlen elektrisch so zu erhitzen, dass die Schadstoffe auf den Kohlen desorbieren oder schlichtweg verbrennen. Damit dies funktioniert, müssen sowohl die Aktivkohlen als auch der Reaktor bestimmte Voraussetzungen erfüllen. So müssen die verwendeten Aktivkohlen eine hohe elektrische Leitfähigkeit aufweisen, damit genug Strom durch sie hindurchfließen kann. Trotzdem muss der Materialwiderstand groß genug sein, dass sie sich dabei ausreichend erhitzen. Gehrke und ihr Team entwickelten hierfür eigene Komposit-Aktivkohlen. Dem Grundmaterial Holzkohlenmehl mischten sie Grafit bei und erzielten dadurch eine elektrische Leitfähigkeit, die bei gleichbleibender Adsorptionsfähigkeit dreimal so hoch ist wie bei herkömmlichen Aktivkohlen. Bei der Reaktorkonstruktion bestand die Schwierigkeit darin, diesen so zu bauen, dass er auch hohen Temperaturen von bis zu 650 Grad standhält. In Bezug auf die Funktionsweise setzen Gehrke und ihre Kollegen auf eine kontinuierliche Regeneration: „Die Idee ist, dem Becken laufend über ein Förderband kleine Aktivkohlemengen zu entnehmen, diese zu regenerieren und wieder zurückzuführen. Dazu reicht dann ein verhältnismäßig kleiner Reaktor aus, weil sich nie alle Aktivkohlen gleichzeitig darin befinden und der Regenerationsprozess nur ein paar Minuten dauert. Da sich die Aktivkohlen im Reaktor selbst nicht bewegen, ist der Verschleiß gering und wir rechnen damit, dass wir pro Durchgang mit maximal zehn Prozent neuen Aktivkohlen auffrischen müssen.“
Anschlussfähige Ergebnisse
Die selbst hergestellten Komposit-Aktivkohlen konnten bei Tests auf der Partnerkläranlage Wuppertal-Buchenhofen bereits erfolgreich mit Spurenstoffen beladen werden. Das Regenerationsverfahren führten die Forschenden an einem Protypenreaktor mit einem Fassungsvermögen von 40 bis 50 Litern außerhalb des Kläranlagengeländes durch und erzielten dabei erfreuliche Ergebnisse. Nach einer fast dreijährigen Projektphase zieht Ilka Gehrke daher ein positives Fazit: „Unsere Tests haben gezeigt, dass unser Verfahren ressourcenschonend und dabei gleichzeitig wirtschaftlich und konkurrenzfähig ist.“ Aktuell diskutieren die Beteiligten über mögliche Nachfolgeprojekte mit Umsetzungen im größeren Maßstab direkt vor Ort.