Am 11. Dezember 2019 wurde von der neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Green Deal der EU vorgestellt. Die primären Ziele des Green Deals sind, bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen der EU auf null zurückzuführen, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren sowie die biologische Vielfalt zu erhalten. Ökologische, wirtschaftliche und soziale Fragen werden zusammen gedacht und für alle Bereiche der Wirtschaft wie Energieversorgung, Handel, Industrie, Verkehr, Finanzen und Land- und Fortwirtschaft Transformationsprozesse konzipiert. Der Begriff Circular Economy der EU ist viel weiter gefasst als der deutsche Begriff Kreislaufwirtschaft, der erst bei Altprodukten einsetzt. Bei der Circular Economy spielt z. B. auch effiziente Rohstoffgewinnung eine wichtige Rolle.
Die BDSV bewertet den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft als positiv, da die Stahlrecyclingbranche bereits heute ein wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette ist und lange Erfahrung mit der Kreislaufführung von Rohstoffen hat. Nach einer Prognose von Worldsteel wird die Nachfrage nach klimafreundlichen Stahlschrott bis 2050 deutlich zunehmen. Dabei ist auch mit einem höheren Schrottaufkommen zu rechnen (Aufkommen bei rd. 1.2 Mrd. t.; Abdeckung rund 70 % der Stahlnachfrage).
Für die Abnehmer der Stahlrecyclingbranche, die Stahlwerke, ist die Transformation zu klimafreundlicher Produktion eine Mammutaufgabe, die viel Zeit und enorme Investitionen erfordert. Bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie steht laut Handlungskonzept Stahl der Bundesregierung vom Juli 2020 der Einsatz von Wasserstoff als Reduktionsmittel in der Hochofenroute derzeit im Vordergrund.
Doch bereits heute fällt in Europa mehr Stahlschrott an, als derzeit dort eingesetzt wird. Rund 20 Mio. t Stahlschrott werden jährlich exportiert und tragen somit nicht zum Klimaschutz in der EU bei. Vor dem Hintergrund dieser konkurrierenden Ziele berät die BDSV, gemeinsam mit ihrem europäischen Dachverband EuRIC, die EU-Kommission – zuletzt im Austausch mit dem stellvertretenden Kommissionspräsident Frans Timmermans – auf dem Weg zu einer zirkulären Wirtschaft.
Wichtige Grundlagen der Beratungen sind die beiden international anerkannten BDSV-Studien „Zukunft Stahlschrott“ und „Schrottbonus“, die in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer Gesellschaft entstanden sind und nun auch in die „Metals Strategy“ der EuRIC Eingang gefunden haben. Insbesondere die im Jahr 2019 vorgestellte Studie „Schrottbonus“ spielt hierbei eine herausragende Rolle. In dieser Studie wird der Schrottbonus als ein Maß für den gesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinn eingeführt. Er gibt die Klima- und Umweltkosten an, die durch den Einsatz einer Tonne Schrott bei der Stahlherstellung vermieden werden.
Aus Sicht der BDSV kann, neben den kostenintensiven Technologiesprüngen der Stahlbranche zur Dekarbonisierung, vor allem der verstärkte Einsatz des zum Sekundärrohstoff aufbereiteten Stahlschrotts eine technisch ausgereifte und mit vergleichsweise geringen Investitionen umsetzbare Maßnahme darstellen.
Darüber hinaus zeigt die Studie weitere Instrumente auf, durch die das Stahlrecycling vorgebracht werden kann. Insbesondere im Bereich des komplexen Handels mit Emissionszertifikaten unter Berücksichtigung des Carbon Border Tax Adjustment sieht die BDSV vielversprechende Möglichkeiten. Damit und mit weiteren Mechanismen zur Umsetzung des Schrottbonus wird sich ein neuer BDSV-Arbeitskreis zusammen mit dem Autor der Studie, Dr. Frank Pothen vom Fraunhofer IMWS, beschäftigen und im Jahr 2021 Ergebnisse präsentieren.
Der Einsatz von klimafreundlichem Stahlschrott auch für die Produktion von Qualitätsstählen wird aus Sicht der BDSV für die Stahlindustrie immer mehr an Bedeutung gewinnen. Viele Ansätze zur Dekarbonisierung der Flachstahlerzeugung sehen vor, dass anstatt wie heute üblich in der integrierten Route, zukünftig im Elektrolichtbogenofen ein Gemisch aus hochwertigem Stahlschrott und aus Eisenschwamm eingesetzt wird. Dabei werden sehr hohe Anforderungen an die zum Einsatz kommenden Schrottqualitäten gestellt, was auch mit höheren Aufbereitungskosten einhergehen wird.
Da es in Deutschland für die Flachstahlerzeugung derzeit kaum prozessbasierte Erfahrung gibt, will die BDSV im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts , das den Namen Grünbuchs „Zukunft.Stahl.Rohstoff“ trägt, die Grundlagen für zukünftige rohstoff-effiziente Handlungsoptionen im Wertschöpfungskreis aus Stahlerzeugung, Stahlverarbeitung und Stahlrecycling schaffen.