Kreislaufwirtschaft im nachhaltigen Wohnungsbau

Dina Padalkina, Gründerin von Circular Berlin, spricht mit Stefan Schautes von HOWOGE über die He­rausforderungen und Chancen der Kreislaufwirtschaft für den nachhaltigen Wohnungsbau.
Neubau-Quartier an der 
Straße-Am-Flugplatz, 
Berlin-Johannisthal Visualisierung: roedig.schop.architekten

Was bedeutet nachhaltiger Wohnungsbau und wo spielt Kreislaufwirtschaft eine Rolle?

Stefan Schautes ist zuständig für den Bereich Neubau und vertritt die HOWOGE als einer der Prokuristen. Seine Aufgaben reichen von der Projektentwicklung über die Planrechtschaffung, Planung und Ausführung bis hin zum Ankauf von schlüsselfertigen Immobilien und Wettbewerbsinitiierungen. Foto: Harry Schnitger

Stefan Schautes: Wir haben das erforscht: Nachhaltigkeit kostet Geld. Wir können das aber im sozialen Mietniveau unterbringen – das haben wir nachgewiesen. Solch ein Unterfangen verlangt etwas Innovationswillen und Kraft, Themen auch zu Ende zu denken. Wir wollen als Bestandshalter nachher Wohnungen vermieten, die gesund, nachhaltig und energieoptimiert sind, zu sozialen Mieten von unseren Mietern gern bewohnt werden und wollen damit trotzdem keine Verluste machen. Das bedeutet, dass wir uns frühzeitig mit innovativen Vergabekonzepten beschäftigen müssen und nicht erst abwarten, bis die Baukosten uns dazu zwingen, etwas zu machen, das wir nicht gelernt haben. Ich nenne das eine Weitsprungdisziplin. Wir wissen, dass das Thema auf der Agenda steht und dass es irgendwann in Regelwerke mündet. Die Howoge ist nicht eine, die abwartet, bis das Regelwerk kommt, sondern wir wollen den Anlauf mitnehmen, dass wir dann auch springen können. Wenn man guten Anlauf nimmt, dann nutzen wir die Zeit bis zum Regelwerk für lernen, validieren und erste Erfahrungen machen. Dies immer zusammen mit unseren Partnern und Baufirmen.

Zirkuläres Bauen ist in anderen Ländern schon geübte Praxis. Ich glaube in Deutschland fehlt noch der Überbegriff, das muss noch eine Marke bekommen – ob das nun „cradle-to-cradle“ oder zirkuläres Bauen oder wiederverwendendes Bauen heißt. Wir müssen alle daran arbeiten, dass das eine Headline bekommt, damit es als Thema gesetzt wird.

Inwieweit ist Kreislaufwirtschaft im nachhaltigen Wohnungsbau realisierbar? Was sind aktuelle Anwendungen und Einschränkungen?
Recyclingbeton kann man an vielen Stellen verwenden, wir können Holz einsetzen, wir können lösungsmittelfreie Oberbeläge verlegen, wir können monolithisch planen und bauen und wir können Schichtenmaterialien weglassen, was die beste Lösung für den Cradle-to-cradle-Ansatz ist. Außerdem würde ich sagen, dass Vermeidung eine Strategie ist, die wir auf alle Fälle öfter bedienen sollten. Das heißt: architektonisch und städteplanerisch so clever vorzugehen, dass Lösungen keinen sinnlosen Mehraufwand erzeugen und gleichzeitig eine hohe Qualität erfüllen sowie ein gewisses Level an Behaglichkeit und Komfort.

Wir haben zum Beispiel das Thema Holz für uns entdeckt. In Adlershof haben wir mit den Holzcubes ein kleines Projekt mit 42 Wohnungen realisiert, wo Holz auch trägt. Das werden wir uns aktuell nicht leisten können, denn Holz tragend auszubilden ist kostenmäßig noch ziemlich aufwendig. Man kann Holz millimetergenau zuschneiden, der Rohbau hat aber nach DIN drei Zentimeter Toleranzgröße und das zu organisieren kostet Geld. Wenn man dann komplett in Holz baut, wird das vermeintlich leichter, da entwickelt sich die Holzindustrie auch gerade hin. Dazu müssen und wollen wir die Nachfrage nach Holz noch verstärken, dann sollte die Bauindustrie Holz auch mehr für sich, uns und den sozialen Wohnungsbau entdecken.

Projekt Urbaner Holzbau
Foto: Klaus Dombrowsky

Außerdem haben wir drei hybride Holzfassadenprojekte umgesetzt: im Neu-Hohenschönhausen, in Johannisthal und in Adlershof. Wir mögen Holz, weil es ein sympathischer Baustoff ist, weil er CO2 bindet und weil die Fassade deutlich dünner ist als eine konventionelle Fassade. Das hat den banalen immobilienwirtschaftlichen Effekt, dass auf der gleichen Bruttogeschossfläche deutlich mehr Mietfläche untergebracht werden kann.

Wenn wir also einen innovativen Städtebau wollen oder ein energieoptimiertes Gebäude oder eine dezentrale Warmwasseraufbereitung, dann ist das möglich. Das funktioniert meist schon mit unseren zahlreichen aktuellen Partnern. Aber man muss verstehen, dass wir immer nur einen Schritt weiter gehen können als beim letzten Projekt. Die Grundbedingung bleibt dennoch: Es müssen mehrere Effekte zusammen kommen, also ökologische Nachhaltigkeit, Abbildbarkeit in den Baukosten und ein positiver immobilienwirtschaftlicher und damit wohnspezifischer und sozialer Nutzen, damit auch unsere Mieter und Berlin erkennbar einen Mehrwert haben, dann hat Nachhaltigkeit eine Riesenchance. Und das müssen wir nicht nur bei Holzfassaden umsetzen, sondern bei anderen Bauteilen auch.

Wie können nächste Schritte und Lösungen für die Kreislaufwirtschaft 2.0 im nachhaltigen Wohnungsbau aussehen?
Die Howoge setzt sich für das Durchmischen der Stadt ein, um tagsüber wieder Gewerbe und Arbeitsplätze in monostrukturierten Wohngebieten zu haben, damit deren Tagesabwärme über einen Wärmetauscher abends die Wohnungen beheizen kann. Es geht beispielsweise um das Zusammenbringen unterschiedlicher Nutzungen in Nachbarschaften, um Leitungsverluste zu minimieren, sodass die Abhängigkeiten von Nachbarschaften über einen physikalischen Prozess steuerbar sind. Es geht aber auch darum, kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten zu erzielen, um Mobilität effizienter zu gestalten. Letztendlich müssen die richtigen Fragen gestellt werden und ein Weg zum Ziel ist die Bildung von Clustern, zum Beispiel zur Erstinvestition oder im Betrieb energiesparender Anlagen. Außerdem befördern Interessen, Motivation und vor allem Möglichkeiten und Planungssicherheit das Thema. Beispielsweise denke ich, dass wenn die mittelständische Wirtschaft in Deutschland das nicht als Thema aufnimmt, hat es meines Erachtens keine Zukunft. Wir haben das gerade bei modularem Bauen gesehen, da ist in Deutschland die mittelständische, meist inhabergeführte Wirtschaft, der Treiber und Schlüssel zum Erfolg.

Die Kernakteure sind in Berlin noch ziemlich unsortiert. Wir würden es begrüßen, wenn es einen Thinktank gäbe, der das Thema Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie nicht nur theoretisch aufgreift, sondern Vielen und Vielem einen Mehrwert gibt, wenn wir gemeinsam in die Anwendung kommen. Es geht nur gemeinsam, der Gesetzgeber kann Möglichkeiten und Fokussierung schaffen. Das muss und kann nicht morgen passieren, aber dafür haben wir auch keine zehn Jahre Zeit mehr. Insofern sollten wir anfangen. Wir haben Produkthersteller, Bauindustrie, Leute, die das erforschen, wir haben Fördergeldgeber und wir haben Themen, die das auch regulativ in Leitplanken, Normen oder in die Überarbeitung des Gebäudeenergiegesetzes einfließen lassen. Da gibt es schon den ein oder anderen Menschen, der das Thema begleitet, da fände ich, ist auch die Berliner Politik als Initiator gefragt. Bitte lassen Sie uns das Thema auch digital denken. Es lohnt nicht, jetzt etwas zu verbauen, was nachfolgende Generationen dann erst wieder aufwendig mit Kernbohrungen analysieren müssen.

Ich wünsche mir außerdem, dass wir die Möglichkeit oder die Chance erkennen, dass durch zirkuläres Bauen auch eine wirtschaftliche Triebfeder entsteht. Jeder sollte anfangen, in Architekturbüros die Mitarbeiter auf cradle-to-cradle zu schulen. Die Bauindustrie sollte sich auf den Weg machen andere Bezugsquellen zu identifizieren als das seit zehn Jahren gute Betonwerk, wenn es sich nicht mit Recyclingbeton beschäftigt. Da wünsche ich mir eine Offenheit und eine Erkenntnis, dass das auch wirtschaftliche Vorteile haben wird oder, dass einfach ein Angebot entsteht, auf das es eine Nachfrage generiert. Abschließend sollten wir gemeinsame Ziele definieren und begreifen, dass das nur kooperativ funktioniert. Und meine Erfahrung ist, dass wir mit Fragen starten sollen. Sie hatten nun schon einige Fragen und wenn wir einen Thinktank starten, dann sollte dieser sich unabhängig mit solchen Fragen beschäftigen und nicht ein Marketingboot sein.

HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH

Die HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH ist eines der sechs kommunalen Wohnungsunternehmen des Landes Berlin. Mit einem eigenen Wohnungsbestand von mehr als 63.000 Wohnungen gehört das Unternehmen zu den größten Vermietern und Projektentwicklern im Neubau von Wohnungen deutschlandweit.

Circular Berlin

Circular Berlin – als gemeinnützige Organisation gestaltet Circular City – Zirkuläre Stadt e. V. den Berliner Stoffwechsel neu. Hauptaugenmerk liegt auf der Unterstützung und Gestaltung der lokalen Circular-Economy-Agenda und ihrer Umsetzung durch Forschung, Projekte und dem Aufbau von Netzwerken.
EIT Climate-KIC ist eine europäische Wissens- und Innovationsgemeinschaft, die sich für CO2-freie, sowie umwelt- und sozialverträgliche wirtschaftliche Lösungen einsetzt.

Zum Bericht „Berlin‘s Circular Construction Ecosystem“ 

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