Herr Will, wie stehen Sie zur Digitalisierung des Schrotthandels?
Sebastian Will: Kommt darauf an, was Sie meinen? Digitalisierung im Sinne von Prozessoptimierung innerhalb des Betriebes oder innerhalb der Wertschöpfungskette eines Betriebes? Oder im Sinne von Handelsplattformen?
Ihre Meinung interessiert uns insgesamt.
Grundsätzlich stehe ich beidem aufgeschlossen gegenüber. Sofern ein Betrieb sich durch die Einführung eines digitalen Workflows innerhalb seiner Prozesse und vielleicht auch innerhalb der Prozesse seiner Vorlieferanten Freiräume schaffen kann, halte ich sehr viel von Digitalisierung. Ich denke, dass hier in unserer Branche noch erheblicher Handlungsbedarf besteht. In Richtung unserer Kunden gibt es ebenfalls viel zu gewinnen. Digitale Zulaufsteuerungen, wie beispielsweise bereits bei ArcelorMittal in Bremen umgesetzt oder in Hamburg in Erprobung, halte ich für sehr gut und interessant.
Wie beurteilen Sie die Etablierung von Handelsplattformen?
Da bin ich zwiegespalten. Ich sehe auf der einen Seite durchaus Potential für unsere Branche, auf der anderen Seite funktioniert unser Geschäft in vielen Bereichen nicht rein digital. Schon gar nicht, wie sich das so einige Stahlwerke oder Großhändler vorstellen…
Was meinen Sie genau?
Ich vertrete die Meinung, dass eine Handelsplattform, sei es Ebay als die Granddame der Plattformen oder Alibaba oder, oder …. dann einen Sinn ergeben, wenn sie der Anbahnung von Geschäftskontakten dienen. Das Schrotthandelsgeschäft basiert auf persönlichen und vertrauensvollen Verbindungen. Wenn ich mit jemandem handele, dann gewähre ich dieser Person oder dem Unternehmen einen immensen Vertrauensvorschuss. Ich stelle ihr oder ihm damit einen hohen Wert zur Verfügung und hoffe, dass dieser Wert ordentlich übernommen und bezahlt wird. Die überlassenen Waren habe ich als Schrotthändler nach meinem besten Qualitätsverständnis erzeugt. Egal ob als Vormaterial oder fertige Sorte. Das heißt aber noch nicht, dass die Qualitätserwartungen meines Kunden kongruent sind. Um das zu gewährleisten und um teure Fehlgriffe zu vermeiden ist es nötig, dass jemand das Material prüft. Weiterhin möchte ich die Person, der ich Tausende von Euro anvertraue, persönlich kennenlernen. Beides wird online nicht so einfach sein und ist zudem nicht erwünscht.
Das scheinen einige Werke wie zum Beispiel thyssenkrupp Materials Services und auch das Handelshaus Haniel (ELG) anders zu sehen…
Das ist deren gutes Recht. Zur Essenz des Unternehmertums gehört das Eingehen von Risiken.
Sie klingen skeptisch…
Das haben Sie richtig erkannt. Die beiden genannten Beispiele sind aus meiner Sicht nicht lebensfähig und außerdem sind sie unfair.
Wie meinen Sie das?
Unfair, weil es hier lediglich um den Vorteil einer einzelnen Partei im Geschäft geht, und zwar um den des Schrottverbrauchers. Derartige Geschäftsbeziehungen sind in der Regel nicht besonders nachhaltig. Für eine langfristige Zusammenarbeit müssen beide Seiten Spaß am Geschäft haben. Nicht lebensfähig sind diese Gebilde, weil sich das Geschäftsmodell vor allem an große Entfallstellen richtet und die hinter den Plattformen stehenden zwar das kaufmännische Geschäft des etablierten Handels übernehmen wollen- nicht aber die Arbeit.
Können Sie bitte Ihren letzten Punkt etwas näher erläutern?
Nun, thyssenkrupp Materials Services nimmt ja kein Blatt vor den Mund. Sie wollen den „lästigen“ Zwischenhandel ausschalten, da dieser nur Geld kostet, das man gerne selbst einnehmen möchte. Es ist klar, dass thyssenkrupp nach jedem Strohhalm greift, um für sich neue Geschäftsfelder zu erschließen. Sie verstehen aber offensichtlich nicht, dass hier Know how gefragt ist und hinter dem Handel tatsächliche Arbeit steckt.
Das besteht in der Vorhaltung ordentlicher und gesetzlich genehmigter Lagerflächen, von Maschinen und Aggregaten, von Personal und Fahrzeugen, mit denen der Händler dafür sorgt, dass der Schrott von der Entfallstelle zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Qualität und in der vereinbarten Menge beim abnehmenden Stahlwerk ankommt.
Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein Konzern, der nicht in der Lage ist, sein Kerngeschäft profitabel und langfristig gut organisiert zu betreiben, willens ist, enorme Summen und Zeit (!) in die Etablierung von Parallelstrukturen zu einem bestehenden und sehr reifen Markt zu investieren. Es ist den Stahlwerken ja noch nicht mal möglich, die Auflagen der kommenden Umweltgesetzgebung ohne den reflexartigen Ruf nach Staatsgeld zu bewerkstelligen!
Dem Schrotthandel aber schon?
Ja, wir haben allen Grund, selbstbewusst in die Zukunft zu blicken. Der Handel – und damit meine ich vor allem die etablierten, BimSch-genehmigten Platzbetreiber – hat es geschafft, den Herausforderungen des KrwG in 2012 zu trotzen. Er hat die IED-Richtlinie und deren Auswüchse (bspw. in NRW) überlebt. Er hat die Finanzkrise ausgestanden (2009) und bisher auch Corona. Die Betriebe wurden weiterentwickelt, dem Stand der Technik angepasst, und das alles in Zeiten steigender sunk costs und schwindender Margen. Nebenbei bemerkt haben dies die Kollegen und Kolleginnen weitgehend ohne staatliche Unterstützung und vielfach ohne Kurzarbeit hinbekommen! In die IT-Experimente von Start -ups, die sich einen Bereich aneignen und an ihm verdienen wollen, über den sie keine Kenntnisse haben und auch glauben nicht haben zu müssen, habe ich wenig Vertrauen.
Was raten Sie also Ihren Schrotthandelskollegen?
Weiterhin die Optimierung des eigenen Betriebes voranzutreiben, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wachsam vor Schmarotzern zu sein und es sich gut zu überlegen, ob Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen sinnvoll sind, die das Ziel verfolgen, die eigenen Lieferanten und Geschäftspartner auszuschalten.
Die Fragen stellte Birgit Guschall-Jaik.