Auf 20. Baustoff-Recycling-Tag zogen in diesem Jahr fast 300 Teilnehmer Bilanz und informierten sich über neue Regelungswerke. Es sei dies der bestbesuchte Recycling-Tag in zwei Jahrzehnten, stellte ISTE-Präsident Peter Röhm in seiner Begrüßung fest. Das große Interesse der Unternehmerinnen und Unternehmer verdeutliche, dass das Massenstrommanagement derzeit wie nie zuvor auf dem Prüfstand stehe. Seit 12 Jahren habe das Bundesumweltministerium zusammen mit Bundesländern, Baustoffwirtschaft und Wissenschaft nach einer bundeseinheitlichen Regelung für die Verwertung von Bodenaushub und mineralischen Abfällen gesucht. Sein Vorschlag sei im Frühjahr vom Bundeskabinett beschlossen worden, habe den Deutschen Bundestag und die EU-Notifikation passiert, sei allerding am Einspruch der Bundesländer im Bundesrat vorläufig gescheitert. Es sei von vielen Seiten Nachbesserungsbedarf angemeldet worden. Man wolle abwarten, wie sich eine neue Bundesregierung bei dieser Thematik verhalte, hieß es zur Begründung von Seiten der Länder.
Röhm bezeichnete dieses Verhalten als „unverständliches Bremsmanöver der Länder“, denn sonst “hätten die Länder doch nicht die Gelegenheit verstreichen lassen, im Bundesrat ihre Forderungen zu stellen“. Es sei dringend erforderlich, dass sich die neue Bundesregierung jetzt vorrangig mit der Mantelverordnung befasse. Die Industrie brauche endlich Gewissheit. Die aktuelle Kabinettsfassung bedeute zwar große Anstrengungen für die Industrie, stelle aber den wohl bestmöglichen Kompromiss nach über zehn Jahren Debatte dar. Was jetzt nicht passieren dürfe, sei eine Blockadehaltung der Länder mit zahlreichen Forderungen nach Verschärfungen.
Helmfried Meinel, Ministerialdirektor im baden-württembergischen Ministerium für Umwelt, sprach mit Blick auf die Mantelverordnung von einer „Jahrhundertbaustelle“. Er sei sich sicher, dass eine neue Diskussion kommen werde. Dafür habe sich Baden-Württemberg bestens vorbereitet; es sei das einzige Bundesland, das seine Baustoffmassen auch nach den noch nicht beschlossenen neuen Vorschriften systematisch erfasst und untersucht habe und insofern wisse, wie sich eine Mantelverordnung in der Praxis auswirken würde. Man könne Befürchtungen insofern entgegentreten und Kritiker beruhigen. Meinel befürwortete die vorliegende Fassung der MVO im Grundsatz, zumal diese Regelung erstmals auf wissenschaftlichen Grundlagen basiere.
Meinel verwies auf die Rohstoffstrategie des Landes, welche derzeit mit vielen Beteiligten erarbeitet werde. Sie solle der Konfliktvermeidung dienen und den Naturschutz, die regionale Rohstoffversorgung unter Vermeidung weiter Transportwege und das Recycling möglichst vieler Materialien koordinieren. Baustoff-Recycling spiele auch hier eine zentrale Rolle, nicht zuletzt angesichts beschränkter Deponie-Kapazitäten. Meinel mahnte insbesondere Landkreise und Kommunen, bei Bauvorhaben produktneutral auszuschreiben und RC-Materialien als gleichwertige Baustoffe zuzulassen.
ISTE-Hauptgeschäftsführer Thomas Beißwenger machte Massen und Dimensionen der Branche deutlich. Baden-Württemberg benötige pro Jahr 100 Mio Tonnen an mineralischen Rohstoffen; das entspreche einem Kilogramm pro Einwohner und pro Stunde. Der Großteil komme aus Steinbrüchen, Sand- und Kiesgruben. Rund 10 Mio Tonnen des Gesamtbedarfs seien bereits Recycling-Baustoffe. (Bau- und Abbruchabfälle machten circa 36 Millionen Tonnen aus, davon rund 10 Millionen Tonnen Bauschutt und 26 Millionen Tonnen Bodenmaterial.) Über 90 Prozent des Bauschutts würden bereits recycelt und ersetzten Primärmaterial zu rund 10 Prozent. Angesichts dieser Recyclingquoten würde sich am Gesamtbedarf von Primärmaterial auch in Zukunft kaum etwas ändern. Der ISTE unterstütze die Politik des Landes, Baustoffrecycling auch mit neuen Entwicklungen wie beispielsweise R-Beton zu fördern. Allerdings dürfe man keine falschen Hoffnungen wecken und den künftigen Verzicht auf Primärmaterial in Aussicht stellen. Mengenmäßig seien natürliche Grenzen gesetzt.
Dr. Michael Siemann, Referatsleiter „Produktionsabfälle, gefährliche Abfälle, Deponierung“ beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) in Berlin, betonte, die vorliegende und vom Bundesrat zurückgewiesene Fassung der MVO sei das Ergebnis eines langen Forschungs- und Abstimmungsprozesses. Wenn bestimmte Bundesländer mehr Zeit zur Beratung bräuchten, sei das zu akzeptieren. Allerdings könne eine neue Bundesregierung innerhalb des Verfahrens keine andere Fassung zur Wiedervorlage bringen. Eine gesetzliche Regelung anstelle einer Verordnung ohne Länderbeteiligung halte er für ausgeschlossen.
Christa Szenkler, stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung Recyclingbaustoffe e. V. (BRB), plädierte dafür, die vorliegende MVO trotz aller Einwände – auch von Industrieseite – als Chance zu begreifen. Eine bundeseinheitliche Regelung biete Recycling- und Verfüllunternehmen endlich Rechtssicherheit und sei zu begrüßen. Sie mahnte mit Blick auf Einwände aus der Bauindustrie zur Geschlossenheit, stellte aber auch die wesentlichen Knackpunkte, wie beispielsweise die Verantwortung der Bauherren für die Entsorgung, als ungelöste Probleme heraus.
Auch Peter Dihlmann, Referent im Stuttgarter Umweltministerium, Abteilung „Kreislaufwirtschaft“, befürwortete die vorliegende Fassung der MVO als „akzeptabel“. Bis zu einer endgültigen Beschlussfassung oder Ablehnung durch den Bundesrat würden die bisherigen Landeserlasse gelten. Dies sollte aber kein Dauerzustand sein. Dass nun, wie den Medien zu entnehmen sei, das Land Niedersachsen außerhalb des Bundesratsverfahrens Länder einlade, um Strategien für eine Ablehnung der Mantelverordnung zu beraten, sei befremdlich und missachte den Willen der beteiligten Ausschüsse des Bundesrates.
Fachthemen aus Baden-Württemberg
In Fachvorträgen informierten Experten aus Wissenschaft, Industrie und Verwaltung über laufende Projekte und neue Regelungen.
Dr. Bernd Susset hat als Wissenschaftler an der Universität Tübingen in Kooperation mit dem Gewerblichen Institut für Umweltanalytik (Hans Albrich) und dem Institut für Baustoffprüfung und Umwelttechnik (Jan Herrmann) für das Umweltministerium eine Bodenuntersuchungs-Kampagne durchgeführt. Anhand eines neuen umfänglichen und für Baden-Württemberg repräsentativen Datensatzes kann gezeigt werden, dass entgegen der Befürchtungen der Bauwirtschaft nicht weniger, sondern bezogen auf das Gesamtaufkommen von rund 26 Millionen Tonnen Bodenaushub bis zu 16 Prozent beziehungsweise 4 Millionen Tonnen mehr Bodenmaterial in Baden-Württemberg verfüllt werden könnten bzw. weniger beseitigt werden müssten. Die geplante Novelle der BundesBodenSchutzVerordnung weise aber auch äußerst sensitive Stellschrauben auf: TOC, Sulfat und die Maßgeblichkeit weiterer Eluatwerte. Würde man diese Stellschrauben im Bundesrat nachschärfen, würde der Trend zu gleichbleibenden oder höheren Verwertungsquoten nach Kabinettsfassung neutralisiert oder sogar umgekehrt. Im schlechtesten Fall wären gegenüber dem Status quo in Baden-Württemberg statt 4 Millionen Tonnen weniger (Kabinettsfassung) bis zu 10 Millionen Tonnen mehr Bodenmaterialien zu erwarten, die in technischen Bauwerken verwertet oder auf Deponien beseitigt werden müssten.
Dr. Jörg Demmich (Bundesverband der Gipsindustrie) zog nach drei Jahren der Gips-Recycling-Anlage in Deißlingen-Lauffen eine Zwischenbilanz. Er kritisierte, dass immer noch zu viele wertvolle Gipsabfälle auf Deponien und nicht in solchen Anlagen endeten. Man sei nur zu einem Viertel ausgelastet. Demmich rief die Politik auf, hier recyclingfördernde Regelungen zu erlassen.
Jasmin Klöckner (Bundesvereinigung Recycling-Baustoffe) informierte über die neue Mess- und Eichverordnung sowie die Verordnung zum Umgang mit POP-Abfällen.
Falk Fabian (Landesamt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg) stellte den überarbeiteten Leitfaden zum Umgang mit teerhaltigem Straßenaufbruch vor.
Martin Kneisel vom Umweltministerium Baden-Württemberg präsentierte die neue Gewerbeabfallverordnung es Landes, die seit wenigen Monaten in Kraft ist.