Die durch Moratorium vorübergehend auf Eis gelegte HBCD-Problematik vor Augen, fürchtet die Branche vor allem die Konsequenzen, die eine weiter zunehmende Anwendung des Chemikalienrechts auf das Abfallrecht mit sich bringen wird. Lösungsansätze für sinnvolle und einheitliche Spielregeln, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, standen im Mittelpunkt eines Workshops auf dem diesjährigen bvse-Forum Sonderabfallentsorgung in Göttingen.
„Die Vision vom einheitlichen Stoffrecht lässt die systematischen Unterschiede außer Acht. Das „Denken von den Stoffen her“ im Chemikalienrecht hat keinen Bezug zu abfallwirtschaftlichen realen Bedingungen und Verhältnissen und eignet sich daher nicht als Entscheidungsgrundlage zur Anwendung erweiterter Pflichtenkreise“, erklärte Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Klett.
Abfallerzeuger und -besitzer laufen Gefahr, Ordnungswidrigkeits- und Straftatbestände zu erfüllen, wenn sie bei der großen Anzahl der teilweise gar nicht überschaubarer Einzelstoffe, eine falsche Einstufung vornehmen und dabei gegen die Auflagen erweiterter Pflichten verstoßen, warnte Klett. „Ziel sollte sein, zum abschließend bestimmten Katalog gefährlicher Abfälle zurückzukehren und sich in der Übergangszeit an einem normzweckorientierten, differenzierten System auszurichten“, so der Rechtsexperte.
„Die Zusammensetzung von gefährlichen Abfällen kann auch bei schlüsselscharfer Betrachtung nur sehr ungenügend mit Hilfe des Stoffrechts beschrieben werden. Die variable Zusammensetzung von definierten Abfallschlüsseln führt letztlich dazu, dass die statischen Beschreibungen des Chemikalienrechts äußerst unzutreffende Worst-Case-Szenarien gefährlicher Abfälle abbilden und somit ein Zerrbild gefährlicher Abfälle vermitteln. Die Abfallmatrix, die für die weitere Entsorgung entscheidend ist, bleibt völlig unberücksichtigt und zudem ändert sich die Zusammensetzung der relevanten Abfallschlüssel von Annahmestelle zu Annahmestelle“, ergänzte bvse-Referent DDr. Thomas Probst.
Das gesamte gesetzliche Regelwerk bei der Sonderabfallentsorgung wird insgesamt immer umfangreicher und komplexer, was zu Rechtsunsicherheiten bei allen beteiligten Kreisen führt. Hinzu kommen uneinheitliche Auslegungen von Verordnungen bei den Behörden und unterschiedliche Erlasse in den einzelnen Bundesländern, die teilweise über die Vorgaben der EU-Gesetzgebung hinausgehen. So wie der Erlass des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums vom 01.07.2016 zum Vermischungsverbot gefährlicher Abfälle. „Die einseitig vollzugsorientierte Auslegung, die einen bisher einwandfreien Entsorgungsvollzug in Frage stellt, ist so nicht im Kreislaufwirtschaftsgesetz verankert. Auch die EU-Gesetzgebung lässt den Ländern hier Spielraum. Der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen gibt keine Aussage, dass man die Abfälle für die Annahme bei der Endentsorgung einzeln betrachten muss“, machte der Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Prof. Dr. Martin Dippel deutlich.
Einen zeitlichen Abriss zur Umsetzung der AVV in die Praxis gab Dr. Georg Surkau vom Bundesumweltministerium. Zur Entsorgung POP-haltiger Abfälle hatte im Januar 2017 ein Bund-Länder-Gespräch stattgefunden. Es wurde festgestellt, dass aufgrund des Moratoriums zwar eine Entspannung bei der Entsorgung HBCD-haltiger Abfälle eingetreten ist, insgesamt aber noch viele Entsorgungsanlagen, insbesondere Konditionierungs- und Mischanlagen für gefährliche Abfälle, noch nicht zugelassen sind. Es besteht das Problem, dass es bisher kaum Erkenntnisse über die Wege und Mengen der Stoffströme gibt. Ziel weiterer Gespräche in diesem Kreis ist, während der in der AVV festgeschriebenen Übergangsfrist bis Ende 2017 Anforderungen an einen bundesweit einheitlichen Vollzug bei der Einstufung und Entsorgung POP-haltiger Abfälle zu erarbeiten, um damit eine praktikable und sinnvolle Lösung herbeizuführen.
Für ein EU-weit harmonisiertes Vorgehen bei der Bezeichnung und Einstufung von Abfällen soll noch in 2017 ein Leitfaden erarbeitet werden, der in alle Amtssprachen der EU übersetzt werden soll. Allerdings werden nationale Vollzugshilfen weiter Vorrang haben, so Surkau.